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„Omaha“

Der Zeichner Reed Waller hegt eine Leidenschaft für anthropomorphe Funny-Comics, was seiner berühmtesten Figur Omaha deutlich anzusehen ist. Da im gleichnamigen Comic regelmäßig Szenen vorkommen, in denen sich die Akteure detailliert der Fleischeslust hingeben, könnte man behaupten, es handle sich um einen Porno. Und ja, in Omaha werden pornographische Szenen gezeigt, aber beileibe nicht nur.

Omaha

Die Figur ist Ende der 1970er Jahre entstanden und spiegelt ebenso den liberalen Geist der Autorin Kate Worley wider, die in den 80ern die Lebensgefährtin von Waller wurde und bald als Texterin bei Omaha the Cat Dancer einstieg. Ihre Ideen trugen wesentlich zum Siegeszug der Independent-Legende bei.

Omaha

Damals wurden in den USA öfters Comic-Läden wegen angeblicher Verbreitung von Obszönitäten geschlossen, was dazu führte, dass der damalige Omaha-Verleger Denis Kitchen den Comic Book Legal Defense Fund gründete, eine Organisation, die seitdem für die Meinungsfreiheit von Comic-Künstlern eintritt und im Notfall juristische Unterstützung leistet.

Omaha

Mit dem Kater Chuck, der zweiten wichtigen Figur, bildet die strippende Katzendame Omaha ein reizendes Paar, das nicht nur erotische Abenteuer erlebt. Wichtig für das Selbstverständnis der femininen Schönheit ist, dass sie nicht des Geldes wegen strippt. Sie tanzt öffentlich nackt, weil sie es liebt, sich so dem Publikum zu zeigen. Sie und ihre Freundinnen haben die Einstellung, dass selbst Prostitution ein Akt der Selbstbestimmung sein kann. Gerade im prüden Amerika verstanden die Autoren Freiheit unbedingt auch als sexuelle Freiheit.

Omaha

Reed Waller setzte den Spaß und das Leid seiner Helden mit schönen schwarz-weißen Zeichnungen in Szene. Kein Wunder, dass er ein Vorbild für Terry Moore (Strangers in Paradise) wurde. Wie fast jede langlebige Serie ist auch dieser Comic eine Soap, mit allem was dazugehört. Und egal, welche Faktoren in Soaps zur Sucht führen – Omaha hat jede Menge davon. Es fällt entschieden schwer, den eleganten schwarzen Band aus der Hand zu legen, bevor er nicht zu Ende gelesen ist. Omaha ist ein wunderbares Beispiel für die Faszination von Comics und ein libertäres Meisterwerk.

Rainer Schneider

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Deutsche Comicforschung 2016

Der zwölfte Band der seit 2005 alljährlich erscheinenden Reihe “Deutsche Comicforschung“ informiert wieder zuverlässig über Gebiete, die in Comicfachpresse und in Fachbüchern bisher gar nicht oder nur sehr unzureichend behandelt wurden.

Deutsche Comicforschung 2016

Die einmal mehr sehr interessant konzipierten und bebilderten Beiträge des Buchs sind wieder chronologisch angeordnet. Zunächst geht es zurück ins Mittelalter, wo – und das hat Tradition in der Buchreihe – die Comicforscher um Eckart Sackmann wieder eine Bilderzählung entdeckt haben, die mit etwas guten Willen als Comic bezeichnet werden kann. So sind in der Kölner Basilika St. Ursula 24 Bildertafeln aus dem Jahre 1456 zu sehen, die auch gereimte Texte enthalten.

Deutsche Comicforschung 2016
Comic von Friedrich Schiller

Nicht völlig neu, ist die Information, dass Friedrich Schiller humoristische Bildergeschichten zu Papier brachte, doch Dietrich Grünewald hat sich im zweiten Beitrag des Jahrbuchs sehr ausführlich mit den “Avanturen des neues Telemachs“ des deutschen Nationaldichters beschäftigt. Sackmann hingegen widmet sich in einem weiteren Beitrag der insgesamt knapp 8 Meter langen Bilderzählung “Die sieben Raben“ von Moritz von Schwindt, die Mitte des 19. Jahrhunderts entstand.

Deutsche Comicforschung 2016

Die restlichen Beiträge stammen aus einer Zeit als es den Begriff Comic bereits gab. Ein Artikel beschreibt die vor dem Ersten Weltkrieg in Stuttgart erschienene Zeitschrift “Die Kinderwoche“, in der unter dem Titel “Plim und Plum“ eine Art Jugendstil-Variante zu Wilhelm Buschs “Plisch und Plum“ veröffentlicht wurde. Ebenfalls auf Wilhelm Busch beruft sich der in einem weiteren Bericht beschriebene englische Zeitungsstrip “Big und Little Willie“, der sich ab 1914 im “Daily Mirror“ über den Deutschen Kaiser und den Kronprinzen lustig machte.

Deutsche Comicforschung 2016
Micky-Maus-Comic vom deutschen Zeichner Frank Behmak

Bemerkenswert sind auch die Erkenntnisse im Kapitel “Frühe Micky Maus Zeitungsstrips in Deutschland“. Hier ist zu erfahren, dass in Deutschland bereits 1930 erste Comics mit Walt Disneys Zeichentrick-Figuren erschienen sind und das auch noch in der kommunistischen “Arbeiter Illustrierte Zeitung.“ Interessant ist auch, dass die “Kölnische Illustrierte Zeitung“ ein Jahr später sogar einen Micky-Maus-Strip aus der Feder des deutschen Zeichners Frank Behmak veröffentlichte. Doch auch im Dritten Reich waren Comics nicht, wie gerne behauptet wird, völlig verpönt, sondern Sackmann belegt im reich bebilderten Bericht “Die Braune Post – Die Nazis und die Sprechblase“, dass in einer nationalsozialistischen Sonntagszeitung etliche eigens dafür konzipierte deutsche Comics zum Abdruck kamen.

Deutsche Comicforschung 2016
Wilhelm Eigener

Dass der deutschen Comic-Kultur höchstwahrscheinlich ein großes Talent verloren gegangen ist, davon erzählt ein Artikel über neun großformatige farbig kolorierte Original-Seiten, die der Comicsammler Joachim Knüppel in einem Hamburger Antiquariat kaufte. Diese Seiten entstanden in den 50er Jahren und erzählen eine in Afrika spielende Abenteuergeschichte. Wilhelm Eigner hat diese in einem nahezu perfekten Stil gezeichnet, der sehr viel ansprechender ist, als fast alles was deutsche Verlage seinerzeit an Eigenproduktionen herausbrachten. Doch Eigner stellte das Comic-Zeichnen ein, denn er fand schnell Arbeit als Illustrator, was sicher gut für ihn, aber sehr schade für die deutsche Comic-Landschaft war. Helmut Kronthaler widmet sich im nächsten Buch-Beitrag einem ab 1959 erschienenen Fortsetzungs-Comic über das Leben des Südtiroler Freiheitskämpfers Andreas Hofer.

Deutsche Comicforschung 2016
DDR-Comic Artikel aus dem Comics Journal

Interessant ist auch Guido Weißhahns Artikel über die Comic-Aktivitäten des ostdeutschen Museumspädagogen Paul Thiel, der versuchte sich in der DDR vorurteilsfrei mit westlichen Comics zu beschäftigen. Thies beschäftigte sich seinerzeit aber auch mit DDR-Comics und ein Artikel von ihm über Mosaik erschien sogar 1979 im einflussreichen US-amerikanischen Fachblatt  The Comics Journal.

Tom Bunk

Den Abschluss des Buchs bildet der Artikel “Deutsche Underground-Comics – Versuch einer Annäherung“. Wie der Titel schon andeutet, ist dies nur (aber auch immerhin!) der erste Schritt der Annäherung an eine quirlige Zeichner-Szene, die teilweise sehr erfolgreich versuchte, deutschsprachige Varianten zu den subversiven Comics von Robert Crumb oder Gilbert Sheldon zu schaffen. Zahlreiche Zeichner aus diesem Umfeld wie Volker Reiche, Tom Bunk, Gerhard Seyfried, Brösel oder Gabriel Nemeth sind heute noch tätig. Eckart Sackmanns Bericht deutet an, dass hier Stoff für ein ganzes und nicht unbedingt dünnes Buch wäre.

Die 2016er Ausgabe des Jahrbuchs Deutsche Comicforschung hingegen deutet an, dass es auch in Zukunft noch genügend hochinteressanten Stoff für weitere Ausgaben gibt.

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