Ende 2012 beendete Garth Ennis (Preacher, Hellblazer, Punisher, Hitman) sein gemeinsam mit Darick Robertson entwickeltes 1.500-seitiges Epos The Boys ziemlich drastisch. Dabei kam nicht nur ein Großteil jener arroganten Superhelden ums Leben, die an allem möglichen interessiert waren, nur nicht daran die Erde zu einem besseren Ort zu machen.
Aber auch die Titelhelden, die mit teilweise brachialer Gewalt kostümierten Rächern ihre Grenzen aufzeigten, überlebten das Finale nicht. Ein Happy End gönnte Ennis lediglich dem Schotten Hughie Campbell, der nur kurze Zeit Mitglied der Boys war. Mit der Miniserie Dear Becky kehrte Ennis 2020 noch einmal zu seinem Erfolgs-Comic zurück.
Dieses Sequel, das zugleich auch Prequel ist, veröffentlichte Panini zunächst unter dem Titel The Boys 14 – Liebe Becky. Das Vorwort stammt von Eric Kripke, der neben seiner Erfolgsserie Supernatural auch The Boys für Amazon Prime produziert. Kripke schildert im einleitenden Text, wie er sich zu einem Abendessen mit Garth Ennis traf, weil dieser ihn abchecken wollte, um sicherzustellen, dass sein Comic bei der Verfilmung nicht “total versaut“ wird. Ennis fragte Kripke, was er von The Boys hält. Der Produzent antwortete: “Ich glaube, es ist eine sehr nette, zarte Liebesgeschichte mit ganz viel Herz.“ Ennis erwiderte darauf: “Ich weiß, wieso merkt das bloß keiner?“
Bei Dear Becky könnte es vielleicht doch der eine oder andere merken, obwohl es wieder brutale Aktionen gegen Superhelden gibt. So wird schon nach wenigen Seiten einem kleinen Jungen die Zunge herausgeschnitten, damit er nicht mehr jenes Zauberwort aussprechen kann, das ihn in einen gewaltigen Muskelprotz verwandelt. Jetzt bringt der Knirps nur noch das völlig nutzlose Wort “Chacham!“ – bzw. “Thyatham!“ in der Originalfassung – über die Lippen.
Doch neben Sequenzen, in denen ein ganzer Haufen als nordische Götter verkleideter Spinner massakriert wird, erzählt Ennis in Dear Becky auch drei Love Stories. So erfreut Frenchie das Weibchen mit zwei Plüschtieren, an denen diese so viel Freude hat, dass es Tote gibt, sobald ein anderer diese anrührt.
In der Rahmenhandlung versuchen die ehemalige Superheldin Annie und Hughie in dessen schottischer Heimat ein gemeinsames Leben zu starten. Dass scheint zu klappen, bis Hughie von einem anonymen Absender ein Tagebuch erhält. Dieses stammt von Billy Butchers großen Liebe Becky, die einst durch den intriganten Superhelden Homelander ermordet wurde.
Nach Beckys Tod hat Butcher das Tagebuch fortgeführt. Zum Schrecken von Annie wird Hughie dadurch wieder an seine Zeit bei den Boys erinnert und erfährt perverse Details aus der Frühzeit der Gruppe…
Die Grafik zu dieser auf vielen (Gefühls-)Ebenen bestens funktionierenden Geschichte stammt von Russ Braun. Dieser arbeitete zuvor bereits bei der James-Bond-Parodie Jimmys Bastarde mit Ennis zusammen.
Auch bei The Boys war der US-Zeichner neben vielen anderen Künstlern wie Darick Robertson, Peter Snejbjerg, John Higgins oder Carlos Ezquerra beteiligt, was zu Qualitätsschwankungen und Stilbrüchen führte. Daher ist es sehr erfreulich, dass Dear Becky von Russ Braun durchgehend großartig in Szene gesetzt wurde.
Aktuell fand The Boys: Dear Becky auch als Band 7 Aufnahme in Paninis gebundene, überformatige Gnadenlos-Edition. Da die Miniserie nur aus acht US-Heften mit insgesamt knapp 200 Seiten besteht, gibt noch eine sehr schöne Ergänzung.
Enthalten ist auch noch ein interessant zusammengestelltes Artbook, das – neben den von Darick Robertson gezeichneten Titelbildern zu allen Heften von The Boys – Variant-Cover von promionenten Comic-Künstlern wie John Cassaday, Howard Chaykin, Carlos Ezquerra, Steve Dillon, Dave Gibbons, David Lloyd oder Jim Lee präsentiert. Diese ansonsten perfekte Edition enthält nicht die gar nicht so wenigen Variant-Cover zu Dear Becky.
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