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Garth Ennis: Punisher Collection 2

Ich schrieb etwa fünfzig Punisher-Ausgaben für Marvel Knights. Ein paar sind nicht schlecht. Es ging zu lange, jedenfalls viel länger als ursprünglich von mir geplant. Die Serie hat einen leicht albernen Touch, was meine damalige Einstellung zu der Serie ganz gut widerspiegelt.

Den Punisher selbst betrachtete ich zwar schon als ernsthafte Figur, aber ich bevölkerte die Welt um ihn herum mit Freaks und grotesken Gestalten, manchmal sogar mit Superhelden. Die meisten Geschichten waren höchst unwahrscheinlich und wurden mit einem Augenzwinkern serviert. Manchmal hörte man direkt die Looney Tunes-Melodie im Hintergrund.

Dies schrieb der Autor Garth Ennis Anfang 2018 im Vorwort zu diesem zweiten Band der Gesamtausgabe über seine meist von Steve Dillon (Preacher) gezeichneten Punisher-Comics. Ab 2003 beschritt er dann tatsächlich neue Wege und seine künftigen Geschichten über Frank Castle haben einen deutlich realistischeren und ziemlich grimmigen Grundton.

Zum Auftakt erzählte Ennis in der vierteiligen Miniserie Born davon, dass Castle bereits bevor seine Frau und Kinder von Gangstern ermordet wurden, Tendenzen zur Selbstjustiz hatte. So sorgte er als Soldat in Vietnam dafür, dass ein arroganter General von gegnerischen Heckenschützen getötet wurde und ertränkte einen zu seiner Truppe gehörenden Vergewaltiger.    

Dabei fiel die Schilderung des Kriegs erschreckend realistisch aus (man beachte auch die Ennis-Serie War Stories). Das lag auch daran, dass Ennis mit dem Zeichner Darick Robertson, der mit ihm auch bei The Boys zusammenarbeitete, einen mehr als fähigen Komplizen hatte. Der Anhang dieses Bandes enthält Privatfotos eines in Vietnam stationierten Soldaten, an denen sich Robertson bei seinen Zeichnungen für Born orientierte. Das Tüpfelchen auf dem i sind bei dieser Miniserie die kunstvoll drastischen Titelbilder von Wieslaw Walkusi.

Nach Born ging Ennis dazu über, aus sechs Heften bestehende Miniserien mit dem Punisher zu schreiben, die zwar aufeinander aufbauen, jedoch in sich abgeschlossen sind. Dieser Band enthält neben Born noch fünf dieser Stories, die zwischen 2004 und 2006 entstanden sind. In the Beginning wurde von Lewis LaRosa gezeichnet. Ennis konfrontiert den Punisher noch einmal mit seinem ehemaligen Komplizen Micro, der Castle überreden will, seine Tätigkeit weltweit im Auftrag einer Regierungsstelle fortzuführen.

Doch der Punisher hat kein Interesse daran, die Kriege der Mächtigen zu führen. Eine Episode aus In the Beginning zeigt, wie persönlich die Rache-Motivation von Frank Castle ist. Kurz nach dem Mord an seiner Familie freundet sich Castle mit seinem Nachbarn Bob an. Doch nachdem dieser ihn besucht und erzählt, dass er seine Ehefrau wegen einer anderen verlassen hat, dreht Castle durch. “Ich verlor meine Frau und Du behandelst Deine Frau wie Dreck!“ verwirft er Bob vor und ihn dann durch die Fensterscheibe hinaus.  

Es folgt die Storyline Kichen Irish, die von Leandro Fernandez gezeichnet wurde. Mitten in New York explodiert in einer gut besuchten irischen Kneipe in Hells Kitchen eine Bombe. Dies ist der Auftakt von Machtkämpfen zwischen zwei Banden. Mittendrin tummeln sich auch noch IRA-Mitglieder, zwei britische MI6-Agenten, ein Serialkiller im Vorruhestand, ein Bombenleger mit weggesprengten Gesichtszügen und natürlich Frank Castle.

Das klingt nach einer weiteren großen (ironisch abgefederten) Gewaltparty im Stile seiner unvergesslichen Punisher-Serie Welcome back, Frank, zumal Ennis diesmal mit dem stark auf Schwarzweißkontraste setzenden Fernandez einen würdigen Nachfolger für Steve Dillon gefunden hat. Doch am Rande der hauptsächlich aus Gewaltakten bestehenden Geschichte ist es dem aus Belfast stammenden Ennis auch wichtig davon zu erzählen, wie sinnlos Racheaktionen sind. Das Schlussbild mit dem ewigen Rächer Frank Castle, der sich nach all seinen Untaten kein bisschen besser fühlt, wirkt noch lange nach.

Es folgt die von Doug Brauthwaite teilweise etwas unbeholfen gezeichnete Story Mother Russia. Diesmal hat Nick Fury, mit dem sich Ennis auch in einigen Miniserien beschäftigte, einen Spezialauftrag für den Punisher, denn dieser ist der einzige Mann, der in ein streng bewachtes Atomraketen-Silo “rein- und wieder rauskommt, aber nicht einmal im Traum ein Kind töten würde.“ Dieses Kind, das Castle an seine ermordete Tochter erinnert, befindet sich auf einer geheimen russischen Militärbasis und wurde mit einem tödlichen Supervirus infiziert, das Menschen in Sekundenschnelle tötet.

Gemeinsam mit einem Delta-Force-Spezialisten soll Castle das Mädchen befreien, um die gefährliche Waffe für die US-Army zu erbeuten. Weder Fury noch Castle wissen, dass gleichzeitig zur Ablenkung eine von skrupellosen amerikanischen Militärs aufgebaute muslemische Extremistengruppe ein Passagierflugzeug entführt hat und dieses mitten in Moskau zum Absturz bringen soll. Ennis zeigt eine realitätsnahe Welt voller machtgieriger Intriganten, innerhalb derer selbst zwei so extreme (und eigentlich reaktionäre) Charaktere wie Frank Castle und Nick Fury wie liberale Menschenfreunde wirken.

Die beiden letzten Geschichten dieses Sammelbands hat der Argentinier Leandro Fernández recht dynamisch zu Papier gebracht. Up Is Down and Black ist White ist ein wild zusammen fantasiertes Garn um den psychopathischen New Yorker Mafiapaten Nicky Cavella, der das Grab von Castles Familie schändet und dies nach allerlei ganz schön krank in Szene gesetzten Konfrontationen bitter bereuen wird. Das alles ist zwar nur bedingt realitätsnah, doch deutlich besser geerdet als die meisten Marvel-Comics und gutes Lesefutter für Freunde der etwas härteren Gangart.

In einer ganz anderen Klasse spielt The Slavers. Die mit zahlreichen äußerst interessanten Nebenfiguren bevölkerte Geschichte beginnt damit, dass der Punisher ein Mädchen vor vier Angreifern rettet. Er erfährt, dass es sich um eine zur Prostitution gezwungene junge Moldawierin handelt, die illegal von einem Zuhälter-Ring nach New York eingeschleust wurde.

Entgegen seines Kodex tritt Castle diesmal nicht nur als “Bestrafer“ auf, sondern versucht auch den Opfern der Verbrecher zu helfen. Der Punisher schaltet hierzu eine Sozialarbeiterin ein, die gerade dabei ist angesichts der Brutalitäten von international operierenden Mädchenhändler-Ringen den Verstand zu verlieren. Doch Castles weiteres Vorgehen trägt auch nicht gerade zu ihrer geistigen Gesundung bei.

Wie der Punisher die aus moldawischen Ex-Söldnern und einer eiskalt berechnenden Frau bestehenden Mädchenhändlerbande schließlich zerschlägt, erzählt Ennis in seinem mit detailfreudig in Szene gesetzten Sadismen nicht geizenden Stil. Doch stärker als sonst kommt hier das Gefühl auf, dass “die Richtigen“ bestraft werden. Zugleich stellt Ennis aber auch mehr als deutlich klar, dass sich das Problem Zwangsprostitution nicht mit einem Waffenarsenal lösen lässt, sei es auch noch so riesig!

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