2011 erschien in der FAZ. als Fortsetzung die Serie Das Tagebuch des Ricardo Castillo von Alexis Martinez und Gunther Brodhecker. Spuren im Eis, das erste der drei Abenteuer kann hier online gelesen werden. Sofort fällt auf, dass nicht nur der Titel der Geschichte an das Comicalbum Tim in Tibet erinnert, das auf dem Cover Yeti-Spuren im Schnee zeigt, sondern auch Martinez’ Zeichenstil ist allerfeinste Ligne Claire in bester Hergé-Tradition.
Dies setzt sich auch inhaltlich fort, denn Brodhecker gelingt das auch im francobelgischen Comic schon lange nicht mehr selbstverständliche Kunststück Geschichten zu erzählen, die sowohl spannend als auch – durch schrullige Nebenfiguren – schreiend komisch sind. Das von Trappern und Indianern bevölkerte schneebedeckte Kanadas erweist sich als ideale Kulisse für Abenteuerlichkeiten aller Art. Selbst die tragische Vergangenheit des Titelhelden bringt die Serie nicht aus dem Gleichgewicht. Der Jude Ricardo Castillo verließ um 1750 mit Frau und Sohn seine nicht eben tolerante Heimat Spanien in Richtung Neue Welt, doch in Neu-Frankreich kamen seine Angehörigen bei einem Brand ums Leben.
Nicht nur den Comic sondern auch die Buchveröffentlichung realisierten Martinez und Brodhecker im Alleingang- Sie gründeten dafür eigens einen Verlag, da sie Das Tagebuch des Ricardo Castillo nicht als farbiges Album sondern in schwarzweiß (mit überarbeiteten Zeichnungen) in einem edlen Breitwand-Buch veröffentlichen wollten.
Dass dies eine gute Idee war, belegt die Veröffentlichung der dritten Castillo-Story Die Nordwest-Passage in Ausgabe 173 des Comicmagazins Zack, die auch ein interessantes Interview mit Martinez und Brodheckerenthält. Hierfür wurde die in der FAZ. im Strip-Format veröffentliche dritte Castillo-Geschichte Die Nordwest-Passage hochkant ummontiert und zudem auch noch koloriert, was keine Verbesserung darstellt. Nur in schwarzweiß entfaltet der Comic seine volle Wirkung!
Es bleibt zu hoffen, dass weitere Abenteuer von Ricardo Castillo folgen werden!
Während sich seine rothaarige Titelheldin im Laufe der mittlerweile schon mehr als 20 Alben von einem Comic-Püppchen zu einer ausgereiften Schönheit entwickelt hat, ist Henk Kuijpers zu einem ausgefuchsten Erzähler geworden, der seinen Lesern deutlich mehr bietet als in sich abgeschlossene 48-seitige Abenteuergeschichten.
Der Zeichner Kuijpers feilte von Album zu Album immer weiter an seinem äußerst eigenständigen Stil, der sich am ehesten noch als unangestrengter Spagat zwischen Ligne Claire und École Marcinelle – also zwischen Hergé und Franquin – beschreiben lässt. Franka überraschte immer wieder durch noch atemberaubender wiedergegebene Fahrzeuge, Fluggeräte, Designs, Schauplätze und Klamotten für die mittlerweile recht zahlreichen weiblichen Hauptfiguren.
Inhaltlich hingegen kam der Quantensprung mit Band 19 Das Schwert von Iskander. Das zunächst von Kuijpers im gewohnt flockig leichten Stil erzählte Abenteuer endete erschreckend drastisch. Achtung Spoiler: Frankas Freund, der dem Leser langsam ans Herz gewachsene charmante ehemalige Gauner Rix, starb völlig überraschend eines gewaltsamen Todes. In den beiden folgenden Bänden Die weiße Göttin und Das silberne Feuer wird nicht nur der Abenteuerplot um das legendäre Zauberschwert von Alexander dem Großen weitergesponnen (inklusive einer äußerst interessanten Rückblende mit einem Gastauftritt der jungen Agatha Christie), sondern Franka (bzw. Kuijpers) nimmt sich auch immer wieder Zeit Abschied von Rix zu nehmen.
In diesem Zusammenhang ist es mehr als erfreulich, dass der kleine Epsilon Verlag den langen Atem hatte, diese einst von Carlsen aufgegebene meisterliche Serie dem deutschen Leser in einer preiswerten Album-Edition komplett zugänglich zu machen.
Ab Band 23 Das Geheimnis von 1948 hat Finix Comics das Veröffentlichen von Franka übernommen, während beim All Verlag eine Gesamtausgabe erscheint.
Brüssel ist zweifelsohne die europäische Comic-Metropole. In der ganzen Stadt sind Fassaden zu finden, die mit Comic-Figuren bemalt wurden . Auch das städtische in einem ehemaligen Jugendstil-Kaufhaus gelegene Comic-Museum Centre Belge de la Bande Dessinéeist immer wieder einen Besuch wert.
Unweit von Brüssel befindet sich innerhalb der auf dem Reißbrett geplanten ziemlich öden Studentenstadt Louvain-la-Neuve ein gewaltiges Gebäude, das ausschließlich einem einzigen Comic-Künstler gewidmet ist.
Die Architektur des 2009 eröffneten Musée Hergé stammt vom Franzosen Christian de Portzamparc.
Im gewaltigen Foyer verwendete de Portzamparc Elemente aus den Comiczeichnungen von Hergé als Wanddekoration.
Auf mehreren Ebenen wird der Besucher über das Leben und dem Werk des Schöpfers von Tim und Struppi informiert.
Das Design für die Ausstellung entwarf der Holländer Joost Swarte, der den Begriff Ligne Claire für die Zeichenkunst von Hergé prägte. Neben sehr vielen Originalzeichnungen des Schöpfers von Tim und Struppi gab es auch Nachbauten von Elementen aus den Comics zu bewundern.
Natürlich gibt es auch einen gut sortierten Museums-Shop.
Das Museum beeindruckte durch die Fülle der Exponate und durch die gewaltigen Räumlichkeiten in denen diese zur Schau gestellt wurden. In den Ausstellungsräumen war Fotografieren verboten. Nicht nur daher sollte jeder Comicfreund, wenn es ihn nach Brüssel verschlägt, im Musée Hergé vorbeischauen.
Bereits 1947 entstand Le Crabe aux pinces d’or, der erste Film mit Tim und Struppi, doch dieser wurde lediglich zweimal in einem Kino in Brüssel gezeigt.
Mit Die Krabbe mit den goldenen Scheren wurde jene Comic-Geschichte von Hergé adaptiert, die Steven Spielberg knapp 65 Jahre später auch zur Grundlage eines sehr viel aufwändigeren Animationsfilms machen sollte.
Le Crabe aux pinces d’or ist ein schwarzweißer knapp einstündiger Film, der großteils mit kleinen Puppen im Stop-Motion-Verfahren gedreht wurde. Gelegentlich gab es aber auch “richtige“ menschliche Hände oder Dokumentaraufnahmen von Schiffen zu sehen. Obwohl der Film gut ankam, wurde er kein Erfolg, da der Produzent Wilfried Bouchery Geldprobleme hatte und nach Argentinien floh.
Mittlerweile liegt der Animations-Film in Belgien und Frankreich auf DVD vor.
Zwölf Jahre später ging es dann weiter mit dem bewegten Tim. Von 1959 bis 1964 produzierte die belgische Firma Belvision mit „Les Aventures de Tintin, d’après Hergé“ eine Zeichentrickserie, die zunächst noch in schwarzweiß gedreht wurde.
Insgesamt entstanden 103 eher schlicht animierte 5-minütige Episoden, die auch in den USA und in Großbritannien gezeigt wurden, aber nicht bei uns.
Eine Ausnahme ist die Belvision-Adaption des Comics “Der Fall Bienlein“, die auf DVD gemeinsam mit den Kino-Zeichentrickfilmen “Tim und Struppi im Sonnentempel“ und “Tim und der Haifischsee“ veröffentlicht wurde.
1961 und 1964 wurden mit “Das Geheimnis um das Goldene Vlies“ und “Tim und die blauen Orangen“ zwei Realverfilmungen gedreht, für die allerdings nicht auf Hergés Comicalben zurückgegriffen wurde, sondern Remo Forlani und Andre Barret dachten sich neue Geschichten aus.
Die Idealbesetzung für Hergés etwas naiven Helden wurde mit Jean-Pierre Talbot gefunden. Dieser drehte danach jedoch keine weiteren Filme mehr, sondern arbeitete als Lehrer .
Der erste der beiden Realfilme erzählt davon, wie Kapitän Haddock (Georges Wilson) ein Schiff namens Das Goldene Vlies von einem alten Freund erbt. Gemeinsam mit Tim und Struppi reist er deswegen nach Istanbul. Bei der Erbschaft handelt es sich jedoch um ein Wrack, an dem trotzdem einige düstere Gestalten großes Interesse zeigen. Dies hängt mit einem Schatz zusammen. Das Geheimnis um das Goldene Vlies entstand vor Ort in der Türkei und Griechenland, zeigt aber auch das Schloss Mühlenhof, in dem Kapitän Haddock residiert.
Drei Jahre später wurde Tim und die blauen Orangen als französisch-belgisch-spanische Koproduktion 1964 rund um Valencia gedreht. Den Kapitän Haddock spielte jetzt Jean Bouise. Diesmal ging es um eine mysteriöse blaue Orange, die angeblich auch in der Wüste wachsen kann und dadurch das Hungerproblem lösen könnte. Doch eine internationale Verbrecherbande will sich die Erfindung unter den Nagel reißen.
Beide Realfilme gerieten recht farbenfroh und sind voller typischer Tim und Struppi-Situationen. So treten natürlich auch Professor Bienlein, Schultze und Schultze sowie die Operndiva Bianca Castafiore auf. Doch obwohl alle Zutaten der Comics enthalten sind, gerieten die Filme sehr viel alberner als Hergés Vorlagen. Wahrscheinlich fehlt dessen ausgefeilter Ligne-Claire-Zeichenstil , der unerlässlich ist, zum Vermitteln seiner ebenso komischen wie spannenden Geschichten.
Doch auf alle Fälle ist es sehr erfreulich, dass diese beiden filmischen Kuriositäten, die es seinerzeit nicht bis in die deutschen Kinos schafften, endlich bei uns auf DVD und Blu-ray erschienen sind.
Hergé war sehr unzufrieden mit den beiden Realverfilmungen und bedauerte es sehr, dass er sich nicht mit Philippe de Broca einigen konnte, der Anfang der 60er Jahre eine Verfilmung von Tim und Struppi plante. Stattdessen drehte de Broca 1964 mit Jean-Paul Belmondo die Action-Komödie Abenteuer in Rio, die Hergé für die beste Verfilmung seines Comics hält.
1969 schließlich folgte der ebenso wie die TV-Serie von Belvision produzierte aufwändige Zeichentrickfilm Tim und Struppi im Sonnentempel. Als Grundlage für die Geschichte dienten die Comicalben “Die sieben Kristallkugeln“ (das ziemlich zusammengekürzt wurde) und “Der Sonnentempel“ (das recht werkgetreu umgesetzt wurde).
Neben Hergé, der auch kurz als Zeichentrick-Figur zu sehen ist, arbeiteten am Drehbuch und am Design des Films die Comickünstler Bob de Moor, Jacques Martin und Michael Regnier alias Greg mit. Der bekannte französische Chansonsänger Jacques Brel schrieb einige Songs für den Film.
Zudem wurden noch einige Tanz-Einlagen, sowie ein nicht im Comic vorkommendes Inka-Mädchen eingebaut. Dadurch, aber auch wegen der plastisch kolorierten Hintergrundgemälde, die so gar nichts von Hergés Ligne Claire haben, erinnert Tim und Struppi im Sonnentempel sehr stark an eine Produktion aus dem Hause Disney und weniger an die dem Film zugrunde liegenden Comics.
Doch insgesamt bietet der sorgfältig gestaltete Zeichentrickfilm spannende Unterhaltung, die durch allerlei Gags aufgelockert wird.
Drei Jahre später kam ein weiterer aufwändig animierter Trickfilm von Belvision namens Tim und Struppi und der Haifischsee in die Kinos, der genau wie die beiden Realfilme wieder eine neue Geschichte erzählte. Nicht ganz ohne Grund wird Tim auf dem deutschen Kinoplakat als “der James Bond des Zeichentricks“ bezeichnet.
Die ebenso spannende wie lustige Story erinnert gelegentlich durchaus an einen groß angelegten Kinofilm mit 007. Es wird erzählt, wie Tims Erzfeind Rastapopoulos plant, die größten Kunstwerke der Welt gegen Fälschungen auszutauschen, die er durch einen 3D-Kopierer anfertigen will. Die Originale hortet der Monokel tragende Schurken in seinem Geheimversteck auf dem Grunde des Haifischsees.
Die Geschichte nutzt zwar bekannte Figuren und auch das haifisch-förmige U-Boot aus den Comics, stammt jedoch nicht von Hergé, sondern von Greg.
1973 entstand auf der Basis des Drehbuchs ein 44-seitiger Comic zum Film, der als Band 23 in die reguläre Reihe eingegliedert wurde. Doch das Cover, auf dem Filmstreifen zu sehen sind, signalisiert recht deutlich den Unterschied zu den übrigen Comic-Alben.
Der Comic enthält eine Zusammenstellung von Standbildern aus dem Film, die mit Sprechblasen versehen sind.
Eine nachgezeichnete Version des Film-Comics erschien 1973 im Comic-Magazin ZACK.
Sehr werkgetreu geriet die zwischen 1991 und 1993 produzierte 39-teilige französisch-kanadische Zeichentrickserie Les Aventures de Tintin, die fast alle Comicalben sorgfältig für das Fernsehen adaptierte.
Abgesehen von Im Lande der Sowjets und Tim im Kongo (wurde wegen seiner rassistischen Tendenzen weggelassen) wurden hier alle Tim und Struppi-Comics sehr nahe am Original, aber oft auch etwas uninspiriert adaptiert, wobei Kapitän Haddock in den Episoden eher abstinent rüberkommt.
Aus den meisten Comic-Alben entstanden hierbei zweiteilige Trickfilme. Der 1983 verstorbene Hergé konnte dies leider nicht mehr miterleben. Als Trickfilmcharakter hat er jedoch in jeder Episode einen kleinen Gastauftritt á la Hitchcock.
Mit modernster Tricktechnik wäre es wohl denkbar eine “werkgetreue“ Verfilmung von Hergés Comic-Reihe auf die Leinwand zu zaubern. Doch dies durfte nicht erwartet werden, als Steven Spielberg 2011 Die Abenteuer von Tim und Struppi: Das Geheimnis der Einhorn inszenierte.
Der Film erweist im schönen flächig animierten Vorspann und gleich danach mit einem Gastauftritt – ein computeranimierter Hergé porträtiert als Flohmarkt-Karikaturist den computeranimierten Tim in seinem typischen Ligne-Claire-Stil – dem belgischen Comicmeister seinen Respekt. Danach jedoch zieht der Erfolgsregisseur auch in seinem ersten selbst in Szene gesetzten Trickfilm voll sein Ding durch.
Das ist zunächst etwas anstrengend, denn die Figuren sehen weder wie ihre Ebenbilder aus dem Comic aus, aber auch nicht – trotz zahlloser Details – wie richtige Menschen. Zudem ist auch noch die Kamera ständig in Bewegung, damit das Ganze als 3D-Film auch ja schön plastisch wirkt.
Die zunächst aus Hergés Album Das Geheimnis der Einhorn übernommene Geschichte beginnt – durchaus werkgetreu – etwas lahmarschig und erzählt von Schiffsmodellen die Schatzkarten enthalten. Doch wenn dann zusätzlich noch Elemente aus dem Comic Die Krabbe mit den goldenen Scheren – jenem Album in der Tim den beliebten Polter- und Trunkenbold Haddock kennenlernt – gewinnt der Film ganz schön an Fahrt.
Im Laufe der munter neu remixten Geschichte gibt es reichlich aus den Comics übernommene Situationen, aber auch eine wild turbulente Verfolgungsjagd durch einen afrikanischen Küstenort, die alle Indiana-Jones-Actionszenen blass aussehen lassen. Jene Sequenz, in der Kapitän Haddock sich in seinen gegen Piraten ankämpfenden Vorfahren hineinversetzt, hingegen, kann locker mit den besten Momenten aus Fluch der Karibikmithalten. Wenn es um das in Szene setzten von lustigen Turbulenzen geht, ist Spielberg immer noch unerreicht und zeigt ganz nebenbei den Pixar-Leuten, die sich gerade mit Cars 2 lächerlich machten, dass es doch möglich ist mit computeranimierter Action zu unterhalten.
Aus Hergés Einhorn-Fortsetzung Der Schatz Rackham des Roten übernimmt der Film nur Fragmente und spart sich den Ausgang der Geschichte (sowie den ersten Auftritt von Professor Bienlein) für eine dann wohl von Peter Jackson in Szene gesetzte Fortsetzung auf. Insgesamt richtet sich der Film eher an das große Publikum als an die Fans der Tim und Struppi-Comics. Doch unterhaltsamer als die werkgetreue aber sehr brave TV-Trickfilmserie oder die sonstigen Kino-Auftritte von Hergés Helden ist das Ganze allemal.
Derzeitig ist Peter Jackson dabei die Fortsetzung The Adventures of Tintin: Prisoners of the Sun zu produzieren.