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Barbara Yelin: Emmie Arbel

Bereits der 2022 erschienene Band Aber ich lebe – Vier Kinder überleben den Holocaust enthält einen 37-seitigen Comic von Barbara Yelin über Emmie Abel. Diese wurde 1942 zusammen mit ihrer jüdischen Familie aus den Niederlanden deportiert. Im Gegensatz zu ihren Eltern und Großeltern überlebte sie die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen.

Barbara Yelin zeigt wie die achtjährige Emmie 1945 kurz nach der Befreiung miterleben muss, wie ihre Mutter stirbt. Die Comickünstlerin arbeitete für ihren Comic eng mit Emmie Arbel zusammen und erzählt auch davon, wie diese noch heute darüber nachdenkt, ob ihre Mutter vielleicht überlebt hätte, wenn sie ihrer Tochter nicht ihr Essen gegeben hätte.

Emmie Arbel war zunächst skeptisch, ob eine Graphic Novel das richtige Medium wäre, um ihre Erlebnisse zu erzählen. Doch als sie das Resultat sah, war sie – genau wie Barbara Yelin – der Meinung, dass knapp 40 Seiten bei weitem nicht ausreichen, um ihren Erinnerungen gerecht zu werden.

Daher entstand mit Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung ein 160-seitiger Comic, der sich auch äußerst intensiv damit beschäftigt, dass die Befreiung aus dem KZ kein Happy End war, weil danach das Leiden nicht aufhörte. Auf Emmie Arbels ausdrücklichen Wunsch hin thematisiert Barbara Yelin im Comic auch, dass die knapp zehnjährige Holocaust-Überlebende von dem Vater ihrer niederländischen Pflegefamilie ein Jahr lang fast jeden Tag sexuell missbraucht wurde.

Trotz der Einblicke in schreckliche Finsternisse ist der Comic kein durchgehend trauriges Buch. Barbara Yelin erzählt auch davon, wie Emmie Arbel nachdem sie nach Israel immigrierte – trotz zahlreicher Widerstände – ihren eigenen Weg ging und heute viel Zeit mit ihren Töchtern und ihrem Enkel im Garten ihres Hauses in der Nähe von Haifa verbringt.  

Mit Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung gelang Barbara Yelin eine Graphic Novel, die sich durch die wohlüberlegte kunstvolle Visualisierung und die menschliche Nähe, die die Autorin zur Hauptfigur aufbaut, ebenso intensiv wie Art Spiegelmans Klassiker Maus mit dem Schicksal von Holocaust-Überlebenden beschäftigt.

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Joann Sfar: Die Synagoge

Eine schwere Corona-Erkrankung zwang Joann Sfar (Blueberry: Das Trauma der Apachen, Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte) zu einem wochenlangen Krankenhausaufenthalt. Während etliche Patienten in den Nachbarzimmern starben, arbeitete der knapp 50-jährige Sfar an einem autobiografischen Comic. Wie bereits in seiner Erfolgsserie Die Katze des Rabbiners ist sein kompliziertes Verhältnis zum jüdischen Glauben das Leitmotiv.

Die Geschichte beginnt mit dem 17-jährigen Sfar, der sich in seiner Heimatstadt einem Wachdienst anschlossen hatte, der sich nach etlichen Terroranschlägen auf Synagogen formiert hatte. Für Sfar ging es jedoch nicht hauptsächlich darum, seine Gemeinde zu schützen. Anstatt die von ihm als langweilig empfundenen Gottesdienste abzusitzen, stand er lieber bei Wind und Wetter vor der Synagoge, denn als Beschützer der Betenden war er vor dem Zorn Gottes und vor allen vor dem seines Vater sicher.

Die zentrale Figur im Comics (und Leben) von Sfar ist sein Vater André. Bevor dieser nach Frankreich kam, verteidigte er in Algerien als junger Anwalt Araber gegen die Willkür der Kolonialmacht. Der junge Joann Sfar erlebte seinen Vater, der in Nizza eine erfolgreiche Kanzlei betrieb, als “sehr zionistisch und pro Palästina“. Dies änderte sich “ab dem Moment, als die Palästinenser beschlossen haben, alle Juden seien schuld an dem, was im Nahen Osten passiert“, selbst wenn sie “keine andere Meinung haben als irgendein beliebiger Bürger.“

Fortan widmet der Anwalt sein Leben dem Kampf gegen die Rechtsradikalen. Für Joann Sfar ist sein Vater, der zwar gesetzestreu war, aber – da er “die Gesetze der Straße kannte“ – auch seine Fäuste einsetzte, ein so überlebensgroßes Vorbild, dass er sehr lange versuchte ihm nachzueifern. Während er Kampfsport trainierte, war ihm immer klar, dass dies nicht seine Welt ist. Erst nachdem der bereits als Comickünstler erfolgreiche Sfar Probleme mit seinen Handgelenken bekam, gab er den Boxsport auf.

Sfar vermittelt auf 170 Seiten faszinierende Einblicke in seine Biografie. Scheinbar planlos und zu wilden Zeitsprüngen neigend, schildert er, wie er seinen Platz im Leben sucht. Zugleich erzählt der Comic davon, wie die Rechtsradikalen immer salonfähiger werden. Als Zugabe reflektiert Sfar darüber, wie und warum er einen autobiografischen fast schon intimen Comic machen wollte. Fraglich ist auch, ob die Erkenntnis “besser schreiben als sich prügeln“ ihm fortan als Lebensmotto dienen bzw. genügen kann.

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Der Golem, wie er in die Welt kam

Im mittelalterlichen Ghetto von Prag hat Rabbi Löw mit dem Golem einen künstlichen Menschen erschaffen, den er mit Hilfe eines beschworenen Geistes zum Leben erweckt. Zur selben Zeit erlässt der Kaiser ein Dekret, damit alle Juden die Stadt verlassen müssen.Zuvor gewährt der Monarch dem Rabbi eine Audienz, bei der dieser sein Geschöpf vorführt. Der Golem rettet dem Kaiser das Leben, woraufhin dieser seinen Erlass wiederruft. Doch ein Nebenbuhler um die Gunst von der Rabbi-Tochter Mirjam missbraucht den Golem, um einen Mitbewerber auszuschalten…

1920 – kurz nach Robert Wienes Das Kabinett des Dr, Caligari, aber noch vor F. W. Murnaus Nosferatu – entstand dieser deutsche Film- und Horror-Klassiker, der seine Geschichte mit deutlicher Sympathie für jüdische Mythen und Lebensart erzählte. Die Hauptrolle und die Co-Regie übernahm Paul Wegner.

Für diesen war dies bereits der dritte Kinoauftritt als Golem war und der auch ansonsten ein Faible für phantastische Stoffe wie Der Student von Prag hatte. Neben Wegners Darstellung beeindrucken auch die von den Filmarchitekten Hans Poelzig und Kurt Richter gestalteten verwinkelten mittelalterlichen Gassen des Prager Ghettos. Diese kommen ganz ohne rechte Winkel aus und machten den Film zu einem Klassiker des deutschen Filmexpressionismus.

Als Grundlage für die Heimkinoveröffentlichung von Der Golem, wie er in die Welt kam, diente hauptsächlich eine zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Italien aufgefundene knallbunt eingefärbte Kopie des Films. Je nach dramaturgischer Stimmungslage kommen die Farbtöne Grün, Blau, Gelb, Rosa oder Orange zum Einsatz. Diese teilweise sehr grellen Einfärbungen, übertünchen leider so manches Details. Doch auch durch Aljoscha Zimmermanns neu eingespielte Musik zeigt diese Veröffentlichung, dass die Filme in den Kindertagen des Kinos selten stumm und farblos waren.

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Eric Heuvel: Kriegsgeschichten

2000 schlug der niederländische Zeichner Eric Heuvel (January Jones) dem Anne Frank Haus in Amsterdam vor, einen Comic über den Zweiten Weltkrieg für junge Leser in Szene zu setzen. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Autoren gestaltete Heuvel eine höchst interessante Trilogie, die jetzt gebündelt in einem Hardcover-Band vorliegt.

Eric Heuvel: Kriegsgeschichten

Den Auftakt macht das Album Die Entdeckung, das sich mit der Zeit beschäftigt, als die Niederlande von deutschen Truppen besetzt wurden. Im Zentrum steht eine ganz normale Familie, die sich in jenen Jahren durchschlägt und versucht dabei anständig zu bleiben. Dies ist ganz besonders schwierig für den Vater, der als Polizist den Nazis zuarbeiten muss und auch beim Abtransport von Juden helfen sein soll…

Eric Heuvel: Die Suche

Eine wichtige Figur in Die Entdeckung ist die junge Jüdin Esther, die nach der Machtergreifung der Nazis mit ihrer Familie Deutschland verlassen hat und nach Holland geflohen ist. Sie gerät dabei vom Regen in die Traufe, denn nachdem die Deutschen in Esthers neuer Heimat einmarschiert sind, werden auch dort Juden vom öffentlichen Leben ausgegrenzt.

Eric Heuvel: Kriegsgeschichten

Eric Heuvel setzt diese und die folgenden Geschichten in einem sehr sauber ausgearbeiteten Ligne-Clair-Stil – irgendwo zwischen Hergé und Willy Vandersteen – in Szene. Auf den ersten Blick scheinen seine klaren, manchmal fast schon klinisch reinen, Zeichnungen nicht zum sehr düstersten Thema zu passen. Doch Heuvels Bilder wirken zugleich wie eine exakte Rekonstruktion der damaligen Zeit. Außerdem sind seine Charaktere sympathisch und glaubhaft in Love Stories verstrickt, wodurch der Leser ihnen – wider besseren Wissens – nichts Böses wünscht. Den Einstieg in die Geschichten erleichtern zudem noch in der Gegenwart spielende Rahmenhandlungen.

Eric Heuvel: Die Suche

Mit dem zweiten Album Die Suche drangen Heuvel und seine Co-Autoren noch ein ganzes Stück weiter vor, ins Reich der Finsternis. Esther bricht zu einer Reise in die Vergangenheit auf. Sie besucht jenen niederländischen Bauernhof, auf dem sie sich einst vor den Nazis versteckte und so die Judenverfolgung überlebte. Von ihrem Jugendschwarm Bob erfährt sie, dass ihre Eltern in Auschwitz ermordet wurden. Als Esther Bob in Israel besucht, erfährt sie schreckliche Details über den Leidensweg ihrer Eltern.

Eric Heuvel: Kriegsgeschichten

Das dritte in diesem Sammelband enthaltene Album Die Rückkehr erzählt als deutsche Erstveröffentlichung davon, wie das heutige Indonesien als holländische Kolonie Niederländisch-Indien 1942 von den Japanern besetzt wurde. Das hat schrecklich Folgen für die dort lebenden Kolonisten, die zu Freiwild werden, aber auch für die Einheimischen, die recht bald merken, dass die neuen Herren keine Befreier waren, sondern sie zu ihrem eigenen  Vorteil unterdrückten,  genau wie zuvor die Niederländer.

Eric Heuvel: Kriegsgeschichten

Das Buch wird abgerundet durch ein reich bebildertes und aussagekräftiges Nachwort. Die drei enthaltenen sehr sorgfältig gestalteten und recherchierten historischen Comics sind ideal zum Einsatz in Schulen, aber auch Freunden europäischer Comic-Kunst sei dieser schön aufgemachte Hardcover-Band empfohlen.

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James Sturm: Markttag

Osteuropa zu Beginn des 20. Jahrhunderts: So richtig glücklich ist Mendelmann eigentlich nur, wenn er Teppiche knüpfen kann. Seine Ware zum Markte tragen liegt ihm hingegen deutlich weniger. Auf dem langen Weg in die Stadt überlegt der verträumte Mendelmann wie er die Dinge, die er gerade sieht an seinem Webstuhl zu Mustern verarbeiten kann.

James Sturm: Markttag

Eines Tages erlebt Mendelmann eine große Enttäuschung, als er feststellen muss, dass der Ladenbesitzer Finkler, der ihn zu besonders kunstvoll verarbeiteten Teppichen angeregt hat, sich zur Ruhe gesetzt hat. Dessen Schwiegersohn hat das Geschäft übernommen und ist nur noch an preiswerter Massenware interessiert.

James Sturm: Markttag

Ähnlich verhält es sich mit dem Exporthändler Suskin, der ein Warenhaus betreibt und Mendelmann nur ein Bruchteil dessen bezahlt, was er einst von Finkler erhielt. Da seine Frau auch noch Nachwuchs erwartet, hat Mendelmann wenig Grund optimistisch in die Zukunft zu blicken…

James Sturm: Markttag

Der zuvor auch schon im Superhelden-Genre (Fantastic Four: Unstable Molecules) tätige James Sturm (Ausnahmezustand) setzt Markttag in klaren in einem eingeschränkten Farbspektrum kolorierten Bildern in Szene, die an Holzschnitte erinnern.

James Sturm: Markttag

Dabei geht es Sturm weniger um eine akkurat recherchierte Geschichte aus dem jüdischen Leben im alten Europa. Vielmehr erzählt er eine zeitlose Parabel über den Zusammenhang von gesellschaftlichen Veränderungen (von naiven Zeitgenossen auch gerne als “Fortschritt“ bezeichnet) und persönlichen Tragödien.

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Die Bertinis

Ralph Giordano überlebte zusammen mit seinen Eltern und den beiden Brüdern die letzten Tage des Dritten Reichs im Keller eines zerstörten Hamburger Hauses. Die Nazis definierten die Beziehung zwischen Giordanos italienischstämmigen Vater und seiner jüdischen Mutter als “privilegierte Mischehe“. Daher wurde die Familie nicht deportiert, musste sich aber nach entwürdigenden und sich willkürlich ändernden Gesetzen richten.

Die Bertinis

Bei der Familie handelte es sich um Christen, und Giordano wurde – wie er später sagte – erst “durch die Nazis zum Juden geprügelt“. 1941 im Alter von 18 Jahren beschloss er sein Leben genau zu protokollieren, um dies als Grundlage für einen Roman zu verwenden. Es sollte über 40 Jahre dauern, bis schließlich sein Buch Die Bertinis erschien und zu einem großen Erfolg wurde.

Die Bertinis

1988 produzierte das ZDF eine fünfteilige aufwändige Verfilmung. Regie und Drehbuch stammten von Egon Monk, der sein Handwerk unter Bertold Brecht beim Berliner Ensemble gelernt hatte. Für Die Bertinis kehrte Monk in die damalige DDR zurück und drehte mit DEFA-Personal in Babelsberg, aber auch in Prag , weil am es am Originalschauplatz Hamburg kaum noch Altbau-Bestände gab.

Die Bertinis

Der Auftakt der Serie ist etwas seltsam. Die erste Episode beginnt 1882 und erzählt nahezu dialogfrei von Ralph Giordanos Großvater, der Sizilien in Richtung Deutschland verlässt. Den jungen Opa spielt Nino de Angelo die reifere Version Drafi Deutscher, höchstwahrscheinlich weil beide mit demselben Song (Jenseits von Eden alias Guardian Angel) zuvor einen Hit gelandet hatten.

Die Bertinis

Doch die erste Episode erzählt auch von der Zeit nach der “Machtergreifung“ und hat ein Ende mit Schrecken. Erstmals – und noch ohne Ledermantel – tritt der Gestapo-Mann “Melone“ in Erscheinung, indem er die gutbürgerliche Familie Bertini im scharfzüngigen Befehlston unangemeldet in ihrer eigenen Wohnung terrorisiert. Gert Haucke (älteren Zuhörern vielleicht noch bekannt aus der Radio-Sendung Papa, Charly hat gesagt…) spielt mit erschreckender Intensivität einen sich in seiner Machfülle suhlenden Nazi-Schergen.

Die Bertinis

Im weiteren Verlauf der Serie wird gezeigt, wie langsam aber stetig die Daumenschrauben der Nazis angezogen werden. Die Einhaltung unmenschlicher Regeln wird von Amtspersonen überwacht, die sich hinter ihren Vorschriften verschanzen und bestenfalls “korrekt“ verhalten. Dabei gibt es schmerzhafte Einblicke in menschliche Abgründe, die auch nicht dadurch relativiert werden, dass die Familie Bertini alias Giardano das zwölf Jahre andauernde Grauen gerade so eben überlebt hat.

Die Bertinis

Die DVD-Edition von Die Bertinis überzeugt zwar nicht gerade durch ihre Bildqualität, aber immerhin durch das Bounsmaterial, allen voran ein beeindruckender 55-minütiger Monolog  von Ralph Giordano. Hinzu kommen die TV-Berichte „Im Gespräch mit Egon Monk“ (11:50 min), „Heute Journal: Dreharbeiten“ (3:30 min) und „Aus dem Ateliers“ (10:03 min).

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Shanghai Dream

Kaum bekannt ist, dass knapp 20.000 Juden vor dem nationalsozialistischen Terror nach Shanghai flüchteten. Dies war Ende der 30er-Jahre nahezu die einzige Möglichkeit Nazi-Deutschland zu verlassen und die Anreise fand meist unter abenteuerlichsten Bedingungen statt. Dies diente dem vielbeschäftigten französischen Autor Philippe Thirault (Rückkehr nach Belzagor, O’Boys) als Grundlage für eine fiktive Comic-Geschichte.

Shanghai Dream

Er siedelte seine Erzählung im Film-Milieu an und Hauptfigur ist der jüdische UFA-Mitarbeiter Bernard Hersch, der 1938 seine Anstellung wegen der Rassengesetzte verliert. So weit so wirklichkeitsnah. Doch gleich die erste Comic-Seite wirft die Frage auf, ob Thirault sich wirklich ernsthaft mit der Zeit beschäftigt hat, von der er erzählt.

Shanghai Dream

Gezeigt werden Dreharbeiten in den UFA-Studios, wobei die Darsteller zum Indiana-Jones-Outfit rote Armbinden mit Hakenkreuzen tragen. In einem “zweitausend Jahre alten Tempel“ finden sie mit einem in Stein gemeißelten Hakenkreuz den Beweis dafür, dass “das Reich tausend Jahre überdauern wird“. Ein derartiger Film wurde von der UFA nie gedreht. Dort wurde Ende der 30er-Jahre hauptsächlich auf scheinbar harmlose Unterhaltung gesetzt und direkte Bezüge zum Nationalsozialismus vermieden.

Shanghai Dream

Den nächsten Bock schießt Thirault auf Comic-Seite 15. Dort ist ein Berliner Kino zu sehen, das 1938 Das Haus der sieben Sünden zeigt. Dieser Film ist von 1940, was als Vorwurf etwas kleinlich wäre. Doch außerdem spielte darin – neben John Wayne – Marlene Dietrich die Hauptrolle, deren Hollywood-Filme ab Mitte der 30er-Jahre im Dritten Reich nicht mehr gezeigt wurden.

Shanghai Dream

Solche Ungenauigkeiten nehmen Thiraults Geschichte, neben der Glaubwürdigkeit, auch die Kraft, um als Drama vor historischen Hintergrund zu funktionieren. Das Resultat ist ein spannend erzählter exotischer Abenteuer-Comic mit gelegentlichen Bezügen zur tatsächlichen Geschichte. Doch stärker noch als ums Überleben, kämpft Bernard Hersch im von Japanern besetzten Shanghai darum, ein Drehbuch seiner in Berlin zurückgebliebenen Frau Illo zu verfilmen…

Shanghai Dream

Formal gibt es wenig zu meckern. Dem portugiesischen Zeichner Jorge Miguel (Als die Zombies die Welt auffraßen) gelangen ebenso detailfreudige wie atmosphärische Bilder, während Splitter die komplette aus zwei Alben bestehende Serie in einem schönen Hardcover-Band in gewohnter Qualität veröffentlicht.

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Nora Krug: Heimat

Heimat ist zwar auch ein Comic, doch der Untertitel “Ein deutsches Familienalbum“ passt besser zu dem voluminösen und vielschichtigen Werk. Die ersten Seiten stellen stammbaum-artig Nora Krugs Verwandtschaftsverhältnisse im Laufe des letzten Jahrhunderts dar. Diese ziemlich verzweigte Darstellung verwirrt zunächst etwas, ist jedoch eine sehr gute Orientierungshilfe bei der Lektüre.

Nora Krug: Heimat

Nora Krug, die mittlerweile mit ihrem jüdischen Ehemann in New York lebt, empfindet oft ein schwer zu beschreibendes deutsches Heimatgefühl. Das Buch spricht hier explizit die Stichworte  “Leitz-Aktenordner“, “Brot“, “Wärmeflasche“ oder “Uhu-Klebstoff“ an. Doch neben der Sehnsucht nach diesen “deutschen Dingen“ ist da auch ein schlechtes Gewissen.

Nora Krug: Heimat

Dies hängt für Nora Krug, die von Elternhaus und Schule ermutigt wurde, sich mit der Zeit des Dritten Reichs zu beschäftigen, damit zusammen, dass ihr nicht klar ist, wie sich ihre Vorfahren im Dritten Reich verhalten haben. Ihr 1944 gefallener Onkel schrieb als 12-jähriger einen mit Hakenkreuzen verzierten Schulaufsatz darüber, wie er “sein Mütterlein ehrte“ und ein Jahr später widmete er sich dem Thema „Juden sind Giftpilze“.

Nora Krug: Heimat

Bei ihrem 1988 gestorbenen Opa war es Krug völlig unklar, was dieser während der Nazizeit getan (bzw. nicht getan) hatte. Ihre Recherchen macht sie in Form von kurzen Comic-Geschichten, abgedruckten Dokumenten und Fotos, sowie Prosa-Schilderungen nachvollziehbar. Hierdurch entsteht ein zwar weiterhin unvollständiges aber dennoch sehr plastisches Familienalbum, das ganz nebenbei zeigt, dass mit einigem Engagement erstaunlich viel über das Leben der Vorfahren zu erfahren ist.

Nora Krug: Heimat

Völlig zu recht wurde das 288-seitige Werk begeistert besprochen (u. a. von der New York Times) und mit Preisen ausgezeichnet. Auch die Zentrale für politische Bildung ist überzeugt von dem Buch und – so lange der Vorrat reicht – sind dort preisgünstige Hardcover-Ausgaben zu beziehen.

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Eric Heuvel: Die Suche

Jeroen bricht mit seiner Oma Helena und deren Freundin Esther zu einer Reise in die Vergangenheit auf. Sie fahren zu jenem niederländischen Bauernhof auf dem sich Esther einst vor den Nazis versteckte und so die Judenverfolgung überlebte. Von ihrem Freund Bob erfährt sie, dass ihre Eltern in Auschwitz ermordet wurden. Erst sehr viel später besucht Esther Bob in Israel und erfährt von ihm Details über den Leidensweg ihrer Eltern.

Eric Heuvel: Die Suche

Eric Heuvel (January Jones) erzählte diese Geschichte in einem sehr sauber ausgearbeiteten Ligne-Clair-Stil, irgendwo zwischen Hergé und Willy Vandersteen. Auf den ersten Blick scheint dieser klare manchmal fast klinisch reine Zeichenstil nicht zu dem sehr düstersten Thema zu passen. Doch obwohl Heuvel auch noch sehr viele geschichtliche Hintergrundinformationen (z. B. über die Wannsee-Konferenz) in die Erzählung einarbeitet, wird das traurige Schicksal der Familien von Esther und Bob durch den Comic nachfühlbar.

Eric Heuvel: Die Suche

Die Suche ist die Fortsetzung des Comics Die Entdeckung, der erzählt wie Esther und ihre Familie nach der Machtergreifung der Nazis gezwungen sind Deutschland zu verlassen und nach Holland zu fliehen. Unter dem Titel Das Versteck veröffentlichte Eric Heuvel noch einen weiteren 8-seitigen Comic zum Themenkomplex in dem die bereits aus Die Entdeckung bekannte Figur Wim van Dort im Mittelpunkt steht und der zweisprachig mit Wendecover im Mark 12 Museum in Aalten erhältlich ist. Das Versteck kann genau wie Die Suche auch ohne Kenntnis des ersten Bandes problemlos gelesen werden.

Eric Heuvel: Die Suche

Die Suche entstand wieder in Zusammenarbeit mit dem Anne Frank Haus und dem Jüdischen Historischen Museum Amsterdam. Nach den guten Erfahrungen mit Die Entdeckung wurde auch “Die Suche“ für den Einsatz in Schulen konzipiert. Der Comic bzw. “grafische Roman“ soll (und dürfte!) jene Jugendlichen erreichen, die “nicht besonders gern lesen“.

Eric Heuvel: Kriegsgeschichten

Der sehr schön aufgemahte Sammelband Kriegsgeschichten enthält neben Die Entdeckung und Die Suche mit Die Rückehr als deutsche Erstveröffentlichung noch ein Album, in dem sich Eric Heuvel mit dem Ende von Niederländisch-Indien beschäftigen.

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