Georg Wilhelm Pabst wurde durch Filme wie Die freudlose Gasse oder Westfront 1918 zum neben Murnau und Fritz Lang bedeutendsten Regisseur des frühen deutschen Kinos. Er verfilmte auch Bertold Brechts Dreigroschenoper und war politisch alles andere als ein Freund der Nationalsozialisten. Da er zur Zeit der Machtergreifung in Frankreich drehte, beschloss er nicht nach Deutschland zurückzukehren.
Stattdessen inszenierte er den Hollywood-Film A Modern Hero, der jedoch ein finanzieller Reinfall wurde. Da Pabst sicher war, dass er in den USA in absehbarer Zeit keinen weiteren Film drehen würde, kehrte er nach Europa zurück. In Frankreich setzte er seine Arbeit fort, doch als er im September 1939 zusammen mit seiner Ehefrau Trude und seinem Sohn seine kranke Mutter in Österreich besuchte, brach der Zweite Weltkrieg aus. Die Familie saß fest, und die Nazis, die Pabst bereits in Hollywood bedrängt hatten, wieder in Deutschland zu drehen, nutzen die Umstände aus, um den namhaften Regisseur für ihre Zwecke einzuspannen.
Tatsächlich begann Pabst wieder deutsche Filme zu drehen. Doch er versuchte nicht nur zu verhindern, dadurch Nazi-Ideologie zu verbreiten, sondern gab sich große Mühe, Kunstwerke zu produzieren. So platzierte er etwa in dem Biopic Paracelsus eine wild entfesselte Tanzsequenz, die ebenso so drastisch wie faszinierend darstellt, wie die Pest in einer mitteleuropäischen Stadt im 16. Jahrhundert ausbrach.
In seinem Roman Lichtspiel spekuliert Daniel Kehlmann (Die Vermessung der Welt, Ich und Kaminski) darüber, wie und warum Pabst 1944 in Prag mit vollem kreativen Einsatz den heute verscholleneren und auf einem Buch von Alfred Karrasch basierenden Film Der Fall Molander drehte. Als der Regisseur im Roman vom Darsteller Paul Wegener (Der Golem) gefragt wird ob es nicht seltsam ist “mitten im Weltuntergang so einen Film zu drehen“, lässt Kehlmann Pabst antworten: “Die Zeiten sind immer seltsam. Kunst ist immer unpassend. Immer unnötig, wenn sie entsteht. Und später, wenn man zurückblickt, ist sie das Einige, was wichtig war.“
Kehlmann orientiert sich in Lichtspiel an tatsächlichen Ereignissen, biegt sich diese aber auch zurecht. So ist es unwahrscheinlich, dass Trude Pabst zusammen mit der Darstellerin Henny Porten in einem Promi-Lesezirkel ausschließlich die Romane von Alfred Karrasch lass und besprach. Doch diese köstliche Sequenz verdeutlich, was für einen Kitsch der von den Nazis geschätzte Autor geschrieben hat und wie schwierig es ist, ein Buch von Karrasch in einen großartigen Film zu verwandeln.
Eine ebenfalls sehr originelle – aber auch die Handlung vorantreibende – Idee ist es, im Kapitel über die Premiere von Paracelsus, den fiktiven zynischen britischen Schriftsteller Rupert Wooster als Hauptfigur einzusetzen und sich über die Großartigkeit des Films wundern zu lassen. Genau wie der real existierende Literat P. G. Wodehouse wurde auch Kehlmanns Wooster von den Nazis in seiner Villa in Frankreich verhaftet und dazu gezwungen im Radio Propaganda-Beiträge aufzusagen. Diese nutzte er jedoch dazu, sich über seine Situation und seine Peiniger lustig zu machen.
Daniel Kehlmann gelang ein erstaunlich vielschichtiges Buch, das auch durch den beständigen Wechsel der Erzählperspektive fasziniert. Zugleich ist Lichtspiel ein spannender Trip durch die deutsche Filmgeschichte.
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