2005 veröffentlichten die Bild-Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung zeitgleich die 12-bändige Bild-Comic-Bibliothek und die 20-bändigen Reihe Klassiker der Comic-Literatur – Ausgewählt vom F. A. Z. – Feuilleton. Obwohl hier populäre Titel wie Asterix, Donald Duck, Lucky Luke oder Superman vertreten waren, blieb ein nachhaltiger Erfolg aus.
Die sechs Jahre später erschienene zehnbändige Süddeutsche Zeitung Bibliothek – Graphic Novels hingegen verkaufte sich so gut, dass sie bereits ein Jahr fortgeführt wurde. 2012 wurden nicht alle zehn Bände gleichzeitig angeboten. Zunächst erschienen fünf Titel, die mit 17 x 25 cm das selbe Format wie die Comics der ersten Edition hatten, und die restlichen Graphic Novel wurden einen Monat später im größeren Format von 22 x 30 cm veröffentlicht.
Nachdem er bereits 2011 mit Cash – I see a darkness in der ersten Bibliothek vertreten war, eröffnet Reinhard Kleist mit Castro den zweiten SZ-Reigen. Auch hierbei handelt es sich um eine Comicbiografie. Kleist erzählt vom Fotoreporter Karl Mertens, der Ende der 50er-Jahre nach Kuba kam, um Fidel Castro zu interviewen. Dort verfiel er nicht nur dem Charisma des Revolutionsführers, sondern verliebte sich auch in dessen Mitkämpferin Lara.
Dass Mertens ignoriert in seiner blauäugigen Castro-Treue die Spätfolgen der Revolution, wie das Ausschalten von alten Kämpfern. Dies entzweit ihn von Lara, die schließlich nach Miami flüchtet. Dadurch, dass “Castro“ nicht nur von Fidel sondern auch von Mertens und Lara erzählt, entstand eine sehr vielschichtige und alles andere als unkritische Biografie der kubanischen Revolution.
1988 reaktivierte der britische Autor Neil Gaiman eine DC-alte Serie namens Sandman. Von wechselnden Zeichnern gestaltet, erzählte er von den Ewigen, einer siebenköpfigen Geschwisterschar, die mächtiger als alle Götter sind, da sie bereits seit Beginn des Universums existieren. Die SZ veröffentlichte nicht den Auftakt der Serie, sondern die Storyline Die Zeit des Nebels. Durch seine schwülstigen Texte und komplizierte Erzählstrukturen macht es Gaiman den Lesern nicht leicht. Er hat sich jedoch eine treue Fan-Gemeinde erarbeitet und ist fast nur noch im Bereich der nicht bebilderten Literatur tätig.
Die Comics von Marc-Antoine Mathieu begeistern durch ungewöhnliche Ideen, vor allem seine Geschichten mit dem kleinen Angestellten Julius Corentin. In Gott höchstselbst erzählt Mathieu davon, was passieren würde, wenn Gott plötzlich auf die Erde käme. Mathieus Gott ist nur nahezu perfekt, er trägt einen Ohrhörer und jemand gibt ihm möglicherweise Anweisungen. Konsequent wie er ist, vermeidet es Mathieu das Antlitz Gottes darzustellen, was weniger aus religiöser Pietät geschah, sondern damit zusammenhängt, dass dessen Verteidiger Anklage gegen die Welt wegen “visueller Belästigung“ erhoben haben und Gottes Gesicht gesetzlich schützten.
Keiji Nakazawa war am 6. August 1945 sechs Jahre alt und hat den Abwurf der Atombombe über Hiroshima überlebt. Als zwanzig Jahre später seine Mutter an den Folgen der radioaktiven Verstrahlung starb, beschloss Nakazawa seine Erlebnisse vor und nach dem Bombenabwurf zu Papier zu bringen. Er schrieb und zeichnete er den 900-seitigen autobiographischen Manga-Meilenstein Barfuss durch Hiroshima, von dem in der Ausgabe der SZ-Edition leider nur die ersten beiden von insgesamt vier Kapiteln enthalten sind.
Im Zentrum von Logicomix steht ein, am Tag als England Deutschland den Krieg erklärte gehaltener, Vortrag über die “Rolle der Logik im menschlichen Verhalten“. Der britische Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell kam dabei als Logiker zu der Überzeugung, dass er seine pazistische Überzeugung angesichts der Bedrohung Europas durch Hitler nicht aufrechterhalten kann. Logicomix beschäftigt sich mit dem faszinierenden Leben von Russell, doch leider auch erschreckend umfangreich mit den großen Mühen, die die beiden griechischen Autoren auf sich nahmen, um diesen Comic zu vollenden. Da auf dem Cover der SZ-Edition die Namen der Zeichner Alecos Papadatos und Annie Di Donna fehlen, lassen wir hier zum Ausgleich unerwähnt, wer Logicomix geschrieben hat.
Wer von Robert Crumbs Genesis erwartet, dass sich der Underground-Guru über die ersten 50 Kapitel der Bibel lustig macht, dürfte ganz schön überrascht werden. Auch wenn Crumb nur sehr gelegentlich die für ihn typischen ziemlich nackten Vollweiber zeichnet, besteht kein Grund zur Enttäuschung. Im Vorwort des von der SZ im Großformat veröffentlichten Buchs erklärt Crumb, dass er den “Originaltext der Bibel nach besten Wissen und Gewissen wortgetreu wiedergegeben“ hat und versuchte die “verschlungene Ambivalenz“ des Originaltextes zu belassen. Zu diesem Ansatz passt der klare Zeichenstil Crumbs, der heute gar nicht mehr wie “Underground“ wirkt, sondern schon fast altmeisterlich.
Posy Simmonds Gemma Bovery erschien genau wie ihr danach entstandenen Comic Tamara Drewe, der von Stephen Frears erfolgreich als Immer Drama um Tamara verfilmt wurde, zuerst als Fortsetzungsserie in der englischen Zeitung The Guardian. In beiden Comics verbindet Simmonds die amourösen Irrwege ihrer Charaktere – bei Gemma Bovery sind es Briten, die in Landhäusern in der Normandie leben – mit Motiven aus der Welt der Literatur.
Die auch als Kinderbuch-Illustratorin tätige Engländerin hat für ihre sich an eine erwachsene Leserschaft richtenden Geschichten einen interessanten Stil gefunden. Sie verknüpft Comicelemente mit Prosatexten und Tagebucheintragungen. Jede Seite erzählt ein in sich abgeschlossenes Kapitel und macht gespannt auf den weiteren Verlauf der Geschichte, was ideal für eine Veröffentlichung als Fortsetzungsserie ist, aber auch zur Binge-Lektüre verleitet.
Wilson ist eine Graphic Novel von Daniel Clowes, dessen Ghost World mit Steve Buscemi und der jungen Scarlett Johansson recht kultig verfilmt wurde. Zunächst sieht es so aus, als handele es sich um eine Sammlung mit in verschiedenen Stilen gezeichneten Gag-Einseiter, die um einen “Angeber ohne Selbstwahrnehmung“ (Clowes über Wilson) kreisen. Doch langsam aber sicher setzen sich experimentierfreudig gestalteten Einzelseite zu etwas Größerem zusammen. Clowes gelingt das Kunststück eine Ansammlung von für sich betrachtet recht komischen Gags zu einer mitreißenden fast schon epischen Geschichte mit tragischen Untertönen zusammenzufügen.
Bei Manuele Fiors Fräulein Else handelt es sich um eine Adaption von Arthur Schnitzlers 1924 entstandener Novelle. Hierin geht es um eine junge Frau, die sich in einem italienischen Kurort aufhält und sich dort einem älteren Herren nackt zeigen soll, um ihrem Vater einen Kredit zu ermöglichen. Fräulein Else gerät dadurch in ein massives moralisches Dilemma. Fior setzt die Geschichte in stimmungsvolle Aquarellbilder in Szene und garniert diese mit Klimt-Zitaten. Manuele Fiors im Anschluss daran entstandener Comic Fünftausend Kilometer in der Sekunde wurde auf dem Comic Festival in Angoulême zum besten Album gekürt.
Ein neues Land stammt von Shaun Tan, als der Sohn von japanischen und irisch-englischen Einwanderern in Australien lebt. Sein Comic beginnt damit, dass ein Mann schweren Herzens ein Auswandererschiff besteigt. Da bedrohliche Schatten über seiner Heimat schweben, nimmt er die beschwerliche Reise auf sich. Es dauert sehr lange bis der Mann die Schönheit seiner neuen Heimat zu schätzen weiß.
Shaun Tan kommt bei Ein neues Land ganz ohne (lesbare) Worte aus und erzählt seine Geschichte durch an alte leicht vergilbte Schwarzweiß-Fotos erinnernde Bilder. Das Werk verblüfft durch den Hyperrealismus der Zeichnungen, aber auch durch surrealistische Verfremdungseffekte. Tan gelang ein auf vielen Ebenen faszinierendes Meisterwerk.
Auch die zweite Comic-Edition der SZ bestand wieder aus einer interessanten und abwechslungsreichen Auswahl an lesenswerten Comics aus aller Welt. Die Verkaufszahlungen waren auch diesmal so erfreulich, dass ein Jahr später die Süddeutsche Zeitung Bibliothek – Graphic Novels III folgte, aber nur aus acht Bänden bestand. Die Auswahl war durchwachsener als bei den vorherigen Editionen. Es waren mit From Hell, Stadt aus Glas und Die Sache mit Sorge lediglich drei wirklich gute Graphic Novels und mit Vallat und Scarface zwei sehr schwache Comics enthalten. Dass mit „Verbrechen“ also „Crime“ ein gemeinsames Thema gewählt wurde, war keine gute Idee, denn gute Graphic Novels lassen sich nur selten einem Genre zuordnen. Wie dem auch sein, bis heute wurde die Süddeutsche Zeitung Bibliothek – Graphic Novels leider nicht fortgeführt.
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