Nachdem Mikael Ross (Der verkehrte Himmel) bei Lauter Leben! und Totem mit dem belgischen Autor Nicolas Wouters zusammenarbeitete, hat er sein neustes Werk Der Umfall im Alleingang realisiert. Im Zentrum der Erzählung steht der kleine rundliche Noel. Ross stellt ihn als etwas nervig auftretenden Jungen vor, der sehr stark auf seine Mutter fixiert ist. Nach und nach wird klar, dass Noel geistig behindert ist.
Daher ist er völlig überfordert als seine Mutter plötzlich ohnmächtig und blutend im Badezimmer liegt. Nachdem er sich zunächst zur Beruhigung einen Eimer über den Kopf gezogen hat, gelingt es ihm schließlich doch die 112 anzurufen. Noels Leben droht aus den Fugen zu geraten, denn seine Mutter liegt im Koma und er kann nicht in die vertraute Wohnung zurück.
Bereits mit diesem Auftakt zieht Mikael Ross den Leser in den Bann. Er zeigt Noel und seine Mutter als funktionierende Lebensgemeinschaft, wobei sofort klar wird, dass es nicht immer einfach mit dem hochemotionalen Jungen ist. Es wird auch klar, dass es nahezu unmöglich ist, jemand zu finden, der die Rolle von Noels Mutter übernehmen kann und da kommt das norddeutsche Dorf Neuerkerode ins Spiel.
Hier wurde 1868 eine Initiative gegründet, die sich darum bemüht Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Zum 150. Jubiläum der heute “Evangelische Stiftung Neuerkerode“ genannten Organisation erschien dieser Comic von Mikael Ross, der zwei Jahre vor Ort recherchiert hat.
Gemeinsam mit Noel lernt der Leser das Dorf kennen und erlebt mit, wie dieser mit einer Welt klarkommen muss, in der es sehr viele Menschen gibt, die sich ähnlich auffällig wie er verhalten.
Mikael Ross idealisiert diesen Kosmos nicht, sondern bemüht sich darum zu vermitteln, dass es in Neuerkerode selbstverständlich reichlich Probleme gibt, doch hier insgesamt eine funktionierende Alternative zu hermetischen Pflegeeinrichtungen entstanden ist. Bei der Lektüre von Der Umfall kommt nie der Eindruck auf eine Auftragsarbeit mit Werbebotschaft zu lesen, sondern dieser großartige Comic steht auf sehr eigenen Füßen!