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Ein Sack voll Murmeln

Joseph Joffo betrieb in Paris etliche Friseursalons und erst nachdem er sich eine Weile auskurieren musste, brachte er 1972 unter dem Titel Ein Sack voller Murmeln seine Lebenserinnerungen zu Papier. Das Buch erzählt von seiner Jugendzeit als Jude im besetzten Frankreich. Der Bestseller wurde zweimal verfilmt und als Comic adaptiert.

Auf den Straßen von Paris waren Joseph und sein älterer Bruder Maurice begeisterte Murmelspieler. Doch alles ändert sich, nachdem sie 1941 gezwungen wurden, gelbe Judensterne zu tragen. Joseph tauscht seinen Stern zwar bei einem Mitschüler gegen einen Sack voller Murmeln ein, doch seinen Eltern ist klar, dass er und Maurice in Paris nicht mehr sicher sind.

Unter abenteuerlichen Bedingungen gelingt es den Brüdern Nizza zu erreichen, wo sie sich mit den italienischen Besatzungssoldaten arrangieren und auf dem Schwarzmarkt aktiv sind. Doch nachdem Mussolini abgesetzt wird, kontrollieren deutsche Truppen auch Nizza und die lebensgefährliche Odyssee der Brüder geht weiter…

Joseph Joffo beschreibt seinen damaligen Seelenzustand wie folgt: “Die Nazis haben mir noch nicht mein Leben genommen, aber sie stehlen mir meine Kindheit. Ich hänge im Grunde genommen nicht mehr sehr am Leben. Nur die Maschine ist am Laufen. Das Rennen geht weiter (…) Ich werde alles tun, damit sie nicht die Freude haben mich zu erwischen.“  

Der Autor Christophe Goret alias Kris (Mutter Krieg, Ein Match für Algerien) vermittelt einfühlsam, wie durch drastische Erlebnisse aus dem zurückhaltenden Joseph ein abgebrühter Überlebenskünstler wurde. Stärker noch als die Verfilmung von 1975 vermeidet es der Zeichner Vincent Bailly (Le Cœur de sang) den Schleier der Nostalgie über die Ereignisse zu legen, obwohl sein beeindruckendes Artwork nicht mit Farbe und Details geizt.    

In einem Sammelband veröffentlicht bahoe books die ersten beiden Alben von Ein Sack voll Murmeln, für die Kris und Vincent Bailly 2014 den Eisner Award in der Kategorie Best Reality-Based Work erhalten haben.

Der dritte Band Baby-Foot spielt im befreiten Frankreich und wird hoffentlich ebenfalls bei uns erscheinen.

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Rutu Modan: Blutspuren

Kobi ist Taxifahrer in Tel Aviv und hat schon seit einiger Zeit keinen Kontakt mehr zu seinem Vater Gabriel. Doch eines Tages wird er von einer etwas seltsamen jungen Frau namens Numi angesprochen, die behauptet, dass Gabriel bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen sei. Kobi findet heraus, dass sein Vater ein Verhältnis mit Numi hatte. Er beginnt Nachforschungen anzustellen. Dabei erfährt er seltsame Dinge über Gabriel, kommt aber auch nach einigen Anfangsschwierigkeiten Numi langsam immer näher…

Rutu Modan: Blutspuren

In ihrem mit dem Eisner Award für die beste Graphic Novel ausgezeichneten Album Blutspuren erzählt Rutu Modan (Das Erbe) in klaren Bildern eine scheinbar alltägliche Geschichte. Die Autorin und Zeichnerin zeigt jedoch auch – scheinbar ganz nebenbei -, wie stark das Leben in Israel geprägt ist von den fast schon als selbstverständlich hingenommenen Terroranschlägen. Rutu Modan wurde durch eine eigene Erfahrung zur Geschichte inspiriert. Sie verabredete sich mit einem Jungen, der danach nie wieder bei ihr anrief. Für sie war nun völlig klar, dass er tot sein müsse, doch dem war nicht so. Das brachte sie auf die Idee, dass Numi “lieber glaubt, ihr Geliebter sei getötet worden, als dass er sie verlassen hätte.“

Rutu Modan: Blutspuren

Rutu Modan bezieht keine politische Position zum Konflikt in Israel, beschreibt jedoch am Rande des Geschehens, dass auf einem Friedhof die schöneren Plätze ganz selbstverständlich für die jüdischen Toten reserviert sind. Dem Comicautor Joe Sacco (Palästina) fiel auf, dass in der Geschichte niemals Palästinenser erwähnt werden “als ob die Angriffe so sehr zu einem Teil des Lebens geworden sind, das ihr Kontext nicht länger von Interesse ist.“

Rutu Modan: Blutspuren

Modan meint dazu: “Israelis bevorzugen es, nicht an den Kontext des Terrors zu denken. (…) Dann würden wir merken, dass wir – Gott bewahre – etwas dagegen tun müssten! Nein, wir trinken lieber mit Freunden Kaffee oder zeichnen Comics.“ Wenn dabei jedoch eine so subtile Zustandsbeschreibung wie Blutspuren herauskommt, ist das ein Schritt in die richtige Richtung, denn um Zustände ändern zu können, müssen diese erst einmal erkannt werden.

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George Herriman: Krazy Kat

Wie schon so manches Buch aus dem Hause Taschen wirkt auch dieser mehrere Kilo schwere Prachtband wie ein Backstein. Das passt bestens zum Inhalt, denn der Titelheld wird immer wieder mit Ziegeln beworfen. George Herrimans Krazy Kat ist einer der ganz großen Comic-Klassiker, auch wenn die 1913 gestartete Serie zeitweise nur in ganz wenigen US-Zeitungen veröffentlicht wurde.

George Herriman: Krazy Kat

Doch Krazy Kat hatte einflussreiche Bewunderer, zu denen neben US-Präsident Woodrow Wilson und Charlie Chaplin auch Pablo Picasso gehört haben soll. Wichtiger noch war jedoch, dass der Zeitungs-Zar William Randolph Hearst ein Fan war und verfügt hatte, dass die Serie immer in mindestens einer seiner Publikationen zu erscheinen hat.

George Herriman: Krazy Kat

Am Anfang stand George Herrimans 1910 gestartete Strip-Serie The Dingbat Family, die schon recht bald nach oben und unten ausuferte. Die Geschichten bekamen die richtige Würze erst dadurch, dass sich die Dingbats sehr stark über die oberhalb ihrer Mietswohnung logierenden Nachbarn ärgerten. Diese zweite Familie war zwar im Comic nie zu sehen, machte die Serie jedoch so interessant, dass Herriman sie in The Family Upstairs umbenannte. Die Katz-und Maus-Geschichten, die sich unterhalb der Wohnung der Dingbats abspielten, funktionierten hingegen zunächst als “Strip im Strip“ und bekamen schließlich ein Eigenleben.

George Herriman: Krazy Kat

Krazy Kat ist zweifelsohne Geschmackssache und der Sinn (oder Unsinn) der Geschichten erschließt sich nicht jedem Leser. Schon die Beziehungen der Hauptfiguren ist recht seltsam. Die Katze Krazy ist in die Maus Ignaz verliebt, obwohl sie von dieser ständig mit Ziegelsteinen beworfen wird. Die als Polizist tätige Bulldogge Offissa Pupp hingegen fühlt sich zu Krazy hingezogen und versucht ihn vor den anfliegenden Ziegelsteinen zu schützen…

George Herriman: Krazy Kat

Alexander Braun (Will Eisner Graphic Novel Godfather) hat für Taschen bereits eine optimale Gesamtausgabe von Little Nemo zusammengestellt. Doch während die dort erzählten Abenteuer in Schlummerland dank Winsor McKays auch heute noch sehr ansprechenden Grafik zeitlos erscheinen, ist der Mythos Krazy Kat erklärungsbedürftig.

George Herriman: Krazy Kat

Braun macht auch hier seine Sache hervorragend. In einem umfassenden 120-seitigen reich bebilderten deutschsprachigen Begleittext entführt er den Leser in die Welt von Herriman, in dessen Geburtsstadt New Orleans, in die brodelnde Metropole New York und nach Los Angeles. Umfassend dokumentiert und interpretiert er Krazy Kat, bevor sich der Leser – entsprechend gewappnet – an den großformatig reproduzierten farbigen (in der Originalfassung belassenden) Sonntagsseiten ergötzen kann, die zwischen 1935 und 1944 entstanden sind. 2020 erhielt dieser schöne Band den Eisner-Award in der Rubrik Best Archival Collection/Project—Strips.

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