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Alfred Hitchcock – Die frühen Filme

1925 führte Alfred Hitchcock in The Pleasure Garden (Irrgarten der Leidenschaft) erstmals Regie und drehte bis 1939 in Großbritannien (aber auch in Deutschland) pro Jahr mindestens einen Spielfilm. Bereits sein dritter Film The Lodger (Der Mieter) war ein Thriller und ein großer Erfolg. Dennoch sollte es noch eine Weile dauern, bis Hitchcock diesen Weg in Richtung Hollywood ab 1934 mit ebenso hochspannenden Filmen wie Der Mann, der zuviel wusste, Die 39 Stufen, Sabotage, Jung und unschuldig oder Eine Dame verschwindet weiter beschritt.

Eine vorbildlich zusammengestellte Blu-ray-Box präsentiert zehn zumeist großartig restaurierte Frühwerke des Master of Suspense, die selbst Filmexperten bisher entgangen sein dürften. Kernstück der Edition ist Hitchcocks 1929 entstandener erster Tonfilm Blackmail, der bereits viele Leitmotive aus seinen späteren Werken erklingen lasst und auf einer Extrascheibe mit der spielfilmlangen Doku Becoming Hitchcock vom Making-Of-Meister Laurent Bouzereau angemessen gewürdigt wird.

Die restlichen Filme in der Box zeigen, dass Hitchcock nach The Lodger noch nicht bereits war, ausschließlich Geschichten über Mord und Todschlag zu erzählen. Auch problematische Zwischenmenschlichkeiten von Boxern, Landwirten, Inselbewohnern oder kleinen Angestellten standen im Zentrum seiner spannend und amüsant in Szene gesetzten Frühwerke.

Hier die Filme im Überblick:

(Zum Auftakt ist jedes Mal zu lesen: Bitte beachten Sie, dass dieser Film historische
Haltungen enthält, die als veraltet und beleidigend empfunden werden können.)

Der Weltmeister (The Ring, 1927, 101 min) Der junge Hitchcock schaute sich häufig Boxkämpfe an. Dabei interessierte ihn weniger der Sport, sondern viel mehr die schillernden Charaktere im Publikum. Somit war er bestens auf diesen Film eingestimmt. Der doppeldeutige Originaltitel The Ring ist sehr treffend, denn es geht sowohl um die Faustkampf-Arena als auch um ein Schmuckstück.

Im Zentrum des Geschehens steht der ehemalige dänische Boxer Carl Brisson in seiner ersten Filmrolle als Jahrmarktsboxer Jack „One-Round“ Sanders. Dessen Freundin Nellie bändelt mit dem australischen Meister im Schwergewicht an. Der Konflikt wird im Boxring ausgetragen, was Hitchcock großartig inszeniert hat. Einziges Manko: Auf der Tonspur der Blu-ray ist leider nur monotones Klaviergeklimper von Antonio Coppola zu hören.

Die Frau des Farmers (The Farmer’s Wife, 1928, 112 min) ist eine ebenso menschlich anrührende wie teilweise ganz schön groteske Komödie, die so von Hitchcock nicht zu erwarten war. Der verwitwerte Landwirt Samuel Sweetland (großartig: Jameson Thomas) wandelt auf Freiersfüßen und macht sich nach Kräften lächerlich. Dabei übersieht er beinahe, dass seine patente Haushälterin Minta (ebenfalls sehr gut: Lilian Hall-Davis) genau die Richtige für ihn ist.     

Champagner (Champagne, 1928, 105 min) erzählt von einem reichen New Yorker Fabrikanten, der seiner verwöhnten Tochter Betty eine Lehre erteilen will und vorgibt, ruiniert zu sein. In scheinbarer Armut findet sie Demut und ihr Glück. Im Gespräch mit Trufffaut bezeichnete Hitchcock den Film als den “Tiefpunkt meiner Karriere“.

Der Mann von der Insel Man (The Manxman, 1929, 100 min) Wie bereits in The Ring spielt Carl Brisson auch hier einen Naturburschen, dessen Freundin (Anny Ondra war kurz darauf in der Hauptrolle von Blackmail zu sehen) sich einem anderen Mann zuwendet. Der in Cornwall gedrehte Film spielt auf der Isle of Man. Obwohl Hitchcock hemmungslos auf Pathos setzt, ist das Resultat erstaunlich kraftvoll und mitreißend.  

Erpressung (Blackmail, 1929, 77 min bzw. 85 min) Eine junge Frau (Anny Ondra) tötet einen übergriffigen Mann in Notwehr. Sie gerät in die Fänge eines Erpressers, während ihr bei Scotland Yard arbeitender Freund versucht den Mordfall zu klären. Zunächst war Blackmail als Stummfilm geplant, dann sollte nur das Ende vertont werden. Schließlich entstand sowohl ein Stumm- als auch ein etwas längerer Tonfilm. Beide Versionen sind hochzspannend und auf dieser Blu-ray enthalten.

Juno und der Pfau (Juno and the Paycock, 1930, 95 min) Basierend auf einem Theaterstück von Sean O’Casey erzählt Hitchcocks zweiter Tonfilm vom Alltag und den wirtschaftlichen Problemen einer irischen Arbeiterfamilie inmitten des Bürgerkriegs. O’Casey erlaubte Hitchcock nicht seine Dialoge zu ändern, daher ist sein Film – abgesehen von den ersten Minuten, die auf der Straße und in einem Pub spielen – wenig mehr als die Aufzeichnung einer Theateraufführung. Eine deutsche Synchronisation existiert nicht.

Mord – Sir John greift ein! (Murder!, 1930, 102 min) In seinem einzigen Whodunit versuchte Hitchcock die Ähnlichkeiten zwischen einem Gerichtsprozess und einer Theateraufführung herauszuarbeiten. Dabei gibt es sehr viel Dialog und nur wenig Spannung. In denselben Kulissen inszenierte Hitchcock zeitgleich mit anderen Darstellern eine deutsche Version. Diese trägt den Titel Mary, ist 20 Minuten kürzer und ebenfalls auf dieser Blu-ray enthalten.

Endlich sind wir reich (Rich and Strange, 1931, 82 min) Der Londoner Angestellte Fred ist gestresst von seinem Job und träumt vom Ausstieg aus seiner Tretmühle. Prompt vermacht ihm ein reicher Onkel eine größere Summe und Fred bricht mit seiner Gattin Emily (Joan Barry sollte kurz darauf die Osteuropäerin Anny Ondra in Blackmail synchronisieren) zu einer Weltreise auf. Doch daheim ist es am schönsten. Dieses auf Reiseerlebnissen von Alfred und Alma Hitchcock basierende maritime Roadmovie hat ebenso viele großartige Momenten wie Leerlauf.

Bis aufs Messer (The Skin Game, 1932, 64 min) Basierend auf einem Theaterstück erzählt Hitchcock von einem Streit zwischen alteingesessenen Adligen und einer neureichen Industriellenfamilie. Spannung und Dramatik halten sich in Grenzen. Das sah anscheinend auch das britische Filminstitut so und verzichtete auf eine Restaurierung. Das Bild ist grottig, die deutsche Synchronfassung passabel. Als Extra gibt es eine sehenswerte 28-minütige Doku über Alma Hitchcock.

Nummer siebzehn (Number Seventeen, 1931) Der nur knapp einstündige Film beginnt in einem Treppenhaus als kompliziert erzähltes Kammerspiel, das sich selbst nicht ganz ernst nimmt. Nach einer rasant mit Modellen in Szene gesetzten Verfolgungsjagd zwischen Eisenbahn und Linienbus kommt es zum spektakulären Finale auf einer Kanalfähre. Auf DVD existiert eine deutsche Synchronfassung von Nummer siebzehn, die hier leider keine Verwendung fand. Die vom britischen Filminstitut durchgeführte Restaurierung ist jedoch sensationell gut gelungen.

Die Edition mit den Frühwerken enthält zu jedem Film Audiokommentare und ein mit Standbildern illustriertes Tondokumente aus Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, dem legendären Marathon-Interview von François Truffaut. Hinzu kommen 17 Stunden mit hochinteressanten Extras, wie kurze Einleitungen vom kauzigen französischen Regisseur, Drehbuchautor, Filmhistoriker und Romancier Noël Simsolo, der eine Comicbiografie über Hitchcock geschrieben hat.

Außerdem enthält der Schuber neben einem Poster ein 64-seitiges Booklet mit ziemlich abgehobenen Texten und sehr kleinformatigen Reproduktionen von Programmheften.

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