Das Lebensmotto von Harvey Pekar (“American Splendor“) könnte fast in einem Zitat aus diesem Comic zusammengefasst werden: “Was weiß ich schon? Ich mache Comics und schreibe über Jazz.“ Doch zugleich ergänzt er diesen Satz noch: “Aber ich kenne den Unterschied zwischen Recht und Unrecht.“
Es erscheint zunächst etwas anmaßend wenn Pekar sich im letzten von ihm geschriebenen Comic auf 170 Seiten mit Israel beschäftigt, ohne jemals selbst dort gewesen zu sein. Doch seine auf angelesenes Wissen und lebenslanger Beobachtungen seines jüdischen Familienumfelds basierenden Überlegungen führen zum selben Resultat, wie Joe Saccos vor Ort gewonnenen Erkenntnisse, die er zu seinem Reportage-Comic “Palästina“ verarbeitete.
Sacco beobachtete, wie drei israelischen Soldaten einen palästinensischen Jungen verhören und diesen dabei einem starken Regenguss aussetzen, während sie selbst trocken unter einem Vordach stehen. Sacco schlussfolgert, dass der Junge bestimmt nicht denken wird: “Eines Tages werden wir eine bessere Welt haben und diese Soldaten und ich, wir werden uns als Nachbarn grüßen.“
Harvey Pekar schreibt am Ende von “Ein anderes Israel“: “Wir sind nicht automatisch frei von Schuld, weil wir Juden sind. Auch wenn Juden lange unterdrückt wurden, Israels Ruf nach Fairness klingt falsch, wenn die Palästinenser so behandelt werden.“ Woher Pekar seine Informationen bezieht, die bei ihm zu dieser Schlussfolgerung führten, davon handelt sein Comic. Die Geschichte spielt scheinbar nur an einem einzigen Tag, umfasst aber dennoch einen deutlich längeren Zeitraum, denn Pekars historischer Exkurs beginnt bei Adam und Eva.
Pekar erzählt in “Ein anderes Israel“ wie ihn der ebenfalls jüdisch stämmige Zeichner JT Waldman Pekar in seiner Heimatstadt Cleveland besucht und beide ein riesiges Antiquariat und eine Bibliothek besuchen. Zwischendrin gehen die beiden essen, wobei Waldman gerade noch verhindern kann, dass es zu Burger King geht. Die ganze Zeit über erzählt Pekar von der Geschichte Israel und Waldman setzt diese manchmal etwas trockenen Fakten sehr lebendig – aber oft auch arg schlampig – in Szene.
Das Resultat ist eine faszinierende Geschichtsstunde und zugleich eine letzte Begegnung mit dem eigenwilligen Comic-Autor Harvey Pekar, der 2010 verstarb und auch in diesem Comic sehr viel Persönliches preisgibt. Abgerundet wird “Ein anderes Israel“ durch einen Prolog von Pekars Witwe Joyce Brabner, die von Pekars komplizierten Verhältnis zu seinen Eltern erzählt.