Luz: Zwei weibliche Halbakte

Der Auftakt des Buchs ist etwas verwirrend. Zunächst sind nur Sprechblasen und einige sehr kleine Farbtupfer zu sehen. Innerhalb diese von Seite zu Seite größer werdenden Flächen, die sich zu zwei Silhouetten formieren, ist immer deutlicher ein Maler zu erkennen, der in freier Natur ein Bild auf die als Leinwand fungierenden Seiten pinselt.

Hätte ich auf dem Backcover den Satz “Ein Jahrhundert Geschichte aus Sicht eines Gemäldes“ gelesen, wäre mir sofort klargeworden, was Renald Luzier alias Luz in diesem Comic veranstaltet. Der Zeichner war Mitarbeiter von Charlie Hebdo, kam am 7. Januar 2015 zu spät in die Redaktionssitzung und überlebte dadurch den blutigen Anschlag auf das Satiremagazin.

Unmittelbar danach zeichnete er jenes legendäre Titelbild mit dem Propheten Mohammed, der ein “Je suis Charlie“-Schild trägt. Kurz darauf fragte Luz vergeblich bei Stephen King nach, ob er dessen Roman Shining als Comic adaptieren dürfe. Das Buch hatte ihm geholfen den entsetzlichen Anschlag zu verarbeiten. Er kündigte bei Charlie Hebdo und verarbeitete seine Alpträume zum autobiografischen Comic Katharsis. Mit Wir waren Charlie schuf er zudem einen beeindruckend in Szene gesetzten Rückblick auf seine zwanzig Jahre bei Charlie Hebdo.

Nachdem Luz seine Tätigkeit als satirischer Cartoonist eingestellt hatte, widmete er sich mit voller Energie und geballter Zeichenkunst der Graphic Novel. In Hollywood menteur beschäftigt er sich mit den Dreharbeiten zu Marylin Monroes letzten Film The Misfits. Im Anschluss adaptierte er gemeinsam mit Virginie Despentes (Baise-moi) deren Bestseller-Trilogie Das Leben des Vernon Subutex.

Noch beeindruckender ist jedoch Zwei weibliche Halbakte. Hier gelingt es Luz aus der Sicht eines 1919 entstandenen Gemäldes von Otto Mueller den Aufstieg der Nationalsozialisten und deren zerstörerisches Kulturverständnis zu zeigen. Das Bild landet zunächst bei einem jüdischen Sammler und danach über diverse Umwege in der berüchtigten Ausstellung “Entarte Kunst“ und schließlich Ende der Siebziger im Kölner Museum Ludwig.

Auch die Erzählstruktur ist interessant. Die Bildausschnitte der Panels orientieren sich an der jeweiligen Positionierung des Gemäldes und nicht an den Konventionen einer Comicerzählung. Das Gemälde selbst ist erst am Ende des Buchs in einer von Luz interpretierten Version zu sehen.

Bei der Lektüre entstand der Eindruck, dass Luz sich bei seiner Erzählung sehr viele Freiheiten genommen hat, damit sich vor den “Augen“ des Gemäldes möglichst viele interessante Momente abspielen können. Doch ein umfangreicher Anhang und das Nachwort von Rita Kersting, die als stellvertretende Direktorin dabei war, als Luz erstmals das Gemälde von Otto Mueller betrachtete, belegen, dass sich der Comic sehr stark an tatsächlichen Ereignissen orientiert hat.

Diese Erkenntnis steigert die ohnehin schon überwältigende Wirkung des virtuos in Szene gesetzten Comics.

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