
Zu Gast auf dem Comicfestival München war Kristian Hellesund aus Norwegen. Dieser berichtet umfassend und reich bebildert auf der Seite Serinett über das Festival.
Mit freundlicher Genehmigung von Kristian veröffentlichen wir hier eine Übersetzung seines Artikels:
Der deutsche Mittelpunkt der Comics
Für alle, die sich für Comics interessieren, lohnt es sich, eine Reise um ab und zu ein Comicfestival in einem größerem Rahmen als dem norwegischen zu besuchen. Das französische Angoulême und das italienische Lucca gehören zu den mit Abstand größten Festivals der Welt. Im deutschsprachigen Raum ist der ebenfalls in Bayern stattfindende Comic-Salon Erlangen das wichtigste Festival. Dieser findet alle zwei Jahre im Wechsel mit dem etwas kleineren Comicfestival München statt. Beide Festivals bringen große Teile der deutschsprachigen Comicbranche zusammen. Hinzu kommen aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen auch viele internationale Gäste.
Im Laufe der Jahre habe ich Comicfestivals in vielen europäischen Ländern besucht und nach und nach meine Favoriten gefunden. Nach meinem langen Wochenende in München ist das Festival in der bayerischen Metropole ebenfalls auf dieser Liste. Es handelt sich um ein gut geführtes Festival mit einem spannenden und abwechslungsreichen Programm, das fast alle Comicfreunde ansprechen dürfte.
2023 fand das Comicfestival von Donnerstag, den 8. Juni bis Sonntag, den 11. Juni statt. Die Hauptlocation war das große Kulturzentrum Gasteig HP8, in dem es normalerweise Konzerte gibt, aber auch eine Bibliothek untergebracht ist. Außerdem gibt es dort Säle, die für Programmbeiträge und die Messe des Festivals genutzt werden können. Zusätzlich zum HP8 wurden zwölf verschiedene Standorte in der Münchner Innenstadt für Ausstellungen genutzt. Das öffentliche Verkehrssystem der Stadt ist gut ausgebaut und für die Anreise zu den verschiedenen Örtlichkeiten können S-Bahnen, U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse genutzt werden.
Das diesjährige Festival hatte Gäste aus verschiedenen Ländern. Die aufregendsten Namen für mich waren Denis Kitchen, Kate Beaton, Ralf König, Gary Hallgren und Alexander Braun. Darüber hinaus waren noch viele weitere interessante Künstler anwesend und das diesjährige Gastland war Tschechien. So gab es sowohl Programmpunkte als auch Ausstellungen mit tschechischen KünstlerInnnen wie Jaromir 99, Tomáš Kučerovský und Štěpánka Jislová. Die beiden letzteren waren besuchten auch Festivals in Norwegen und ließen Comics in Bobla drucken.

Für viele Comicfestivals ist die Verlagsmesse am wichtigsten. In München gab es zwei Bereiche, in denen deutschsprachige Verlage, sowie einzelne KünstlerInnen mit Ständen vertreten waren, um ihre Comics zu präsentierten. Von besonderem Interesse war der Stand von U-Comix, an dem sehr häufig Denis Kitchen und Gary Hallgren saßen und signierten. Kitchen und Hallgren haben ihre Wurzeln im amerikanischen Underground. Kitchen war im Laufe seiner Karriere sowohl Verleger als auch Zeichner. Als Verleger war er für Veröffentlichungen von Comicgrößen wie Will Eisner, Al Capp, Harvey Kurtzman, Mark Schultz, Charles Burn, Scott McCloud und Alan Moore verantwortlich. Kitchen stand auch hinter Gay Comix, einer frühen queeren Comicveröffentlichung, und ist der Gründer des Comic Book Legal Defense Fund.
Gary Hallgren war unter anderem zusammen mit Dan O’Neill und Bobby London am Cartoon-Kollektiv Air Pirates beteiligt. Die bekanntesten Veröffentlichungen dieser Gruppe sind Comics, in denen gezeigt wird, wie Walt-Disney-Figuren Sex haben. Dies wurde vom Disney-Konzern nicht gebilligt und endete mit einer Klage, die Disney gewann. Während Gary Hallgren weiterhin als Underground-Zeichner tätig war, unternahm er auch eine Reise in den Mainstream-Comic. Seit 2015 zeichnet Hallgren Hägar, wird aber namentlich nicht genannt. Auf dem Festival war Hallgren sehr beliebt und nicht wenige Besucher ließen sich von ihm eine Hägar-Collection signieren, die kürzlich auf Deutsch erschienen ist.

Auch ansonsten gab es jede Menge Gelegenheiten für Signieraktionen, wobei viele prominente Gäste an allen vier Tagen des Festivals aktiv waren. Unter ihnen war auch Mike Perkins, der im Laufe der Jahre mehrfach das Comicfestival Raptus in Bergen besuchte. Der britische Zeichner arbeitet für DC Comics und Marvel. Unter zeichnete er Swamp Thing, Lois Lane und X-Men . Perkins ist auch in Deutschland sehr bekannt. Zum Comicfestival München veröffentlichte der Panini Verlag daher mehrere Sonderausgaben von Serien wie Batman oder X-Men mit alternativen Covern von Perkins. Diese erschienen in limitierten Auflage und alles deutet darauf hin, dass es sich dabei um künftige Sammlerstücke handeln wird.

Ein weiterer beliebter Zeichner des Festivals war Mark Buckingham. Der Brite dürfte vor allem für sein Artwork für Fables bekannt, hat unter anderem aber auch Hellblazer und Sandman illustriert.
Auch Ralf König zeichnete Menschen mit seltenem Aussehen. Für norwegische Leser ist es erwähnenswert, dass sein Lucky Luke-Album Zarter Schmelz im letzten Jahr erst die zweite norwegische Veröffentlichung mit der deutschen Comiclegende ist. Die erste war Rottepocket Nr. 5 aus dem Jahr 1993, ein kleines Taschenbuch mit Königs alten Schwulcomix aus den 90ern, die neu montiert und verkleinert wurden.
Das Comicfestival präsentierte zahlreiche Ausstellungen. Im HP8 konnte man sich die deutschen Cartoons von Rudi Hurzlmeier und die Werke des spanischen Zeichners José Homs genauer ansehen, während Zeitungscomics im Zentrum einer Ausstellung im Amerikahaus standen. Im Sudetendeutschen Museum wurde der Comic Die vertriebenen Kinder präsentiert, in dem es um das Schicksal deutschsprachiger Menschen geht, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden. Marek Toman und Jan Blažek haben Kinder interviewt, die diese Zeit erlebt haben, und daraus zusammen mit fünf ZeichnerInnen Comicgeschichten gemacht. Manuele Fior hatte eine Ausstellung im Italienischen Kulturinstitut und Werke des Spaniers Miki Montlló waren Instituto Cervantes zu sehen. Auch zum bayerischen Superheld Tracht Man gab es seine Ausstellung und sein Schöpfer Chris Kloiber, hatte einen Stand im Eingangsbereich der Verlagsmesse im Saal X.

Mehrere tschechische KünstlerInnen hatten eine gemeinsame Ausstellung im Café Kosmos, wo es auch eine Zeichensitzung, an der Tomáš Kučerovský und Lenka Šimečková gab. An einem heißen Sommernachmittag zeichneten die beiden KünstlerInnen nach Anregungen des Publikums. Es war eine angenehme Sitzung, bei der man die Künstler aus nächster Nähe in Aktion sehen konnte.
Demnächst melden wir uns mit weiterem Material vom Comicfestival München zurück. Es wird unter anderem einen eigenen Bericht von der Zeitungs-Cartoon-Ausstellung im Amerikahaus, über den über den Besuch von Kate Beaton und Berichte von weiteren Programmbeiträgen geben.
Kristian Hellesund
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